Ein Abend im Süden

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Mek und Merlix luden ein zur Lesung im Südbalkon in Wilhelmsburg. Für mich war das das erste Mal auf der Elbinsel, die mir bisher nur aus Gerüchten und Absolute Giganten bekannt war. Weder im Film noch beim Hörensagen kommt der Stadtteil besonders gut weg. Doch es tut sich etwas: Allerorten hört man, dass der Stadtteil in den Startlöchern steht, das nächste Ottensen oder die nächste Schanze zu werden.

Umso gespannter waren Eckart und ich, als wir uns auf den Weg machten. In Wilhelmsburg aus der S-Bahn auszusteigen ist eine kleine Mutprobe. Muss man hier wirklich Angst haben, schon auf dem Bahnsteig ausgeraubt zu werden? Wir ignorieren die offensichtlichen Gefahren und steigen schnell in den wartenden Metrobus 13. Dank einer nicht zu hundert Prozent hilfreichen Wegbeschreibung haben wir die Gelegenheit, die Veringstraße ein paar hundert Meter hinaufzugehen. Bis auf ein kleines Straßenrennen zwischen einem Mercedes Cabrio und einem Motorrad, die mit ca. 100 km/h (und weiter beschleunigend) die schnurgerade Straße entlangrasen, ist hier nichts ungewöhnlich.

Im Südbalkon sind wir unter den ersten Gästen. Mek hatte nicht übertrieben: Hier passen maximal dreißig Zuhörer rein. Dreißig werden es dann doch nicht, aber ein paar bekannte Gesichter kommen bald dazu, als wir auf dem Bürgersteig biertrinkend den Pommesteller der sehr offensichtlich schwangeren Herzdame herumreichen. Der Grieche von gegenüber macht sehr gute Pommes. Überhaupt: die Gastronomie auf diesem kurzen Stück der Veringstraße ist nicht zu verachten: Neben dem Griechen gibt es zwei Portugiesen, beste Voraussetzung für die notwendige Galao-Versorgung eines kommenden Szene-Stadtteils.

Beginn der Lesung ist gegen halb zehn. Mek liest seinen verregneten Sommer, Merlix trägt aus seinen Travemünder Erinnerungen vor. Danach gibt es den verteilt gelesenen Text über den harten Winter 78/79 in Lübeck. Selbst gelesen hatte mir die Geschichte nicht so sehr zugesagt, aber vorgelesen vom staatlich anerkannten Experten für südländische Geschichten und seinem norddeutschen Gegenpart war es ein großes Vergnügen.

Plötzlich ist es halb eins, die Zugereisten machen sich auf den Weg zurück auf das Festland. Eckart und ich nehmen den Bus und haben auf dem Weg bis zur S-Bahn die skurrile Begegnung mit einem Junggesellinnenabschied, dem die Braut abhanden gekommen ist, auf dem Weg zum Kiez. Bei den Grazien ist es auch kein Wunder, dass sich die Braut ausgeklinkt hat. Wer will schon mit Freundinnen gesehen werden, die — wie Eckart sagt — Paris Hilton zur Stilikone erhoben haben?

Sicher und wohlbehalten erreichen wir den Hauptbahnhof. Obwohl ich die Stadtgrenze nicht verlassen habe, kommt es mir doch vor, von einer Reise zurückgekommen zu sein.

3 Responses to “Ein Abend im Süden”


  • Na Danke für den Bericht. War ein schöner Abend, nette Leute und prima Texte. Mir hat’s gefallen auf der Elbinsel. Und wer weiß: vielleicht wird Wilhelmsburg ja tatsächlich die neue Schanze? Wenn auch nicht im nächsten oder übernächsten Jahr …

  • Ach ja, nicht zu vergessen: Cem und Frank berichten ebenfalls über dieses Literaturereignis.

  • Paris Hilton in Wilhelmsburg hätt ich schon gern gesehen. Und nicht nur das …

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