Monthly Archive for Mai, 2006

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Null Toleranz (gegenüber neuen Nachbarn)!

Gurr, gurr

macht die Großstadttaube und es hört sich am Samstag morgen so an, als ob sie nur wenig entfernt von meinem Kopf säße. Am Sonntag morgen hatte ich zu fest geschlafen, um es zu hören, aber heute morgen um 6:30 weckte mich das fette Biest eine halbe Stunde, bevor ich eigentlich aufstehen wollte.

Aus dem Bett gepellt schleiche ich zum Fenster, um die Situation zu eruieren. Tatsächlich hat Frau Taube knapp zwei Meter von meinem Schlafzimmerfenster entfernt ihr Nest gebaut, sehr günstig in die Ecke zwischen Regenrinne und Hauswand — mit freundlicher Unterstützung der langen Taubenabwehrdorne, die die umsichtige Hausverwaltung auf den kleinen Mauervorsprüngen des Rotklinkers angebracht hat. Dort sitzt sie mit starrem Blick und glotzt mich an.

Schließe das Fenster und verbringe eine weitere halbe Stunde im Bett. Dabei male ich mir im Halbschlaf Szenarien aus, mit welchem Instrument ich das Nest entfernen werde. Reicht ein Besenstiel? Nach dem Duschen bewaffne ich mich mit einer 2,20 m langen Sockelleiste für die Küchenschränke und schaue, ob die Taube gerade zu Hause ist. Ist sie nicht. Wahrscheinlich ist sie gerade zu Max Bahr geflogen, um noch Material für die Wohnzimmererweiterung zu besorgen, die man so schön an das schräg laufende Regenrohr anbauen könnte.

Doch den Plan kann sie sich abschminken. Das Nest ist zwar erstaunlich fest in den Dornen verankert (die Architektur-Taube hat ihre Hausaufgaben im Statik-Seminar gemacht), aber gegen mein wildes Gestocher hat das Nest keine Chance. Barmbek Nord versinkt im Staub, dann aber fallen die Reste des Nests (Kalaueralarm: vom Neste die Reste?) drei Stockwerke hinab in den Vorgarten.

Epilog: Auf dem Weg zur Arbeit höre ich beim Verlassen des Hauses ein trauriges Gurren und sehe die etwas verstörte Taube auf dem Dach sitzen, nur wenige Zentimeter von ihrem ehemaligen, schmucken Einfamiliennest entfernt. Vielleicht ist sie ja trotzig und baut an selber Stelle ein neues Nest. Ich werde das beobachten und nötigenfalls meine brutale Null-Toleranz Politik erneut anwenden, bis sie gerafft hat, dass ich keinen Bedarf an lauten Nachbarn habe.

PS: Den alternativen Titel „Ich bin nicht gut zu Vögeln“ verkneife ich mir, weil ich das Kalauerbudget für die Woche nicht schon am Montag verbrauchen möchte.

Der mutigste Moment meines Lebens

War gestern abend bei meiner ersten Bloglesung. Die komplette Hamburger Blogosphäre wird sich wahrscheinlich ab heute nachmittag darüber auslassen, was für ein fantastischer Abend das war, als ein knappes Dutzend Blogger im Laufe von drei Stunden aus ihren Webtagebüchern vorgelesen haben. Den ersten Beitrag dieser Art, den ich gefunden habe, gibt es auf der Rückseite der Reeperbahn. Drum werde ich mich gar nicht damit aufhalten, ebenfalls von diesem Ereignis zu berichten.

Vielmehr möchte ich von der desaströsesten Lesung berichten, an der ich jemals das zweifelhafte Vergnügen hatte, teilzunehmen. Ende letzten Jahres war Heinz Strunk zu Gast bei Henscheid/Wieland im Toten Salon. Mein Begleiter an diesem Abend war P., den ich nicht zuletzt wegen seines ausgemacht feinen Humors sehr schätze. Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ hatte mir im Jahr zuvor gut gefallen, sodass ich sehr gespannt darauf war, wie sich Heinzer live bewähren würde.

Das Nachtasyl war an diesem Abend ganz kurz vor dem 4:3 des FC St. Pauli über Hertha BSC vor Weihnachten bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ich könnte mir vorstellen, dass die Auslastung des Raumes nicht ganz im Einklang mit den feuerpolizeilichen Bestimmungen stand. Doch das focht uns nicht an, denn wir waren früh da und hatten freie Platzwahl. Wir entschieden uns für die breite und gut gepolsterte Fensterbank, die ungefähr zwei Meter oberhalb der loungigen Sitzlandschaft einen freien Blick auf die Bühne versprach.

Der Stargast, so wurde angekündigt, werde erst ein wenig später erscheinen und die zweite Hälfte des Abends dann allein bestreiten. Der Abend begann hervorragend: Henschel und Wieland bestritten die erste Hälfte der Veranstaltung gekonnt, souverän und witzig.

Nach der Pause betrat Heinzer die Bühne. Groß gewachsen, mit eitler Gesichtsbehaarung und einem Anzug, auf dessen Brusttasche ein Tigerkopf prangte, kündigte der populäre Autor an, dass er an diesem Abend nichts „aus dem Scheißbuch“ vorlesen werde, sondern ausschließlich unbekannte Preziosen zur Darbietung bringen werde. Hm, ok, kann ja auch ganz gut sein.

Die ersten Nummern liefen etwas langsam an, aber gut, der Mann kam zu spät, musste sich erst an das Publikum gewöhnen und ein wenig Vertrauensvorschuss in sein Unterhaltungsvermögen wollten wir ihm ja auch zollen. Doch als es nach zwanzig Minuten nicht besser wurde, lugte ich ein wenig aus meinem Mikrokosmos heraus. Der größte Teil des Publikums fühlte sich großartig unterhalten. Man lachte, klatschte wohlwollend nach jeder noch so mediokren Nummer. Auch, dass der Künstler mehr als nur einmal während seiner Lieder hilflos stammelnd nach dem vergessenen Text suchte, konnte der guten Stimmung des Publikums keinen Abbruch tun. Ich fand es eher beunruhigend, dass er dort auf der Bühne stand, eher lallend den Schellenkranz schlug und offensichtlich ganz furchtbar schlecht vorbereitet war oder massiven Missbrauch bewusstseinsverengender Drogen betrieben hatte. Ein Künstler auf der Bühne ist nicht witzig, wenn er „Äh, äh, wie war das jetzt nochmal stottert“. Souveräne Künstler wie Helge Schneider machen ein „Text vergessen, scheißegal“ zu einem Glanzlicht des Programms, Heinzer spielt da eher in der Kreisliga der Comedians.

Dezente Blicke zu P., der neben mir das Geschehen beobachtete, zeigten, dass ich nicht allein war mit meinem Unbehagen. P. fand es offenbar auch nicht im geringsten komisch, wie sich der eitle Geck auf der Bühne gerierte. Mir wurde es mittlerweile wirklich peinlich. Ich habe diese Eigenschaft, dass mir peinliches Verhalten anderer Leute sehr körperliches Unbehagen bereitet. Das war schon Neunzehnhundertirgendachtzig so, als bei dem Fernsehjahresrückblick „Menschen“ Leute auf der Straße gebeten wurden, die „Hits des Jahres“ zu singen. Mann, habe ich mich damals unter dem Sofa verkrochen. Andere Comedy baut auf diesen Effekt: „The Office“ oder „Extras“ ziehen große Teile ihrer Komik aus dem verletzten Peinlichkeitsgefühl des Betrachters. Doch ich schweife ab, zurück zu Heinzer — oder eher zu P., der mich so fassungslos anschaute, wie ich ihn und die schweren Worte sprach: „Das geht gar nicht“.

In unseren Köpfen reifte binnen der nächsten Minuten derselbe Entschluss: Bloß raus hier! Das war nicht so einfach, befanden sich unsere Plätze doch an der Stirnseite des Raums in einer höhe von zwei Metern über einem voll besetzten Sofa. Die Tür war zwar nur zehn Meter entfernt, es galt aber mindestens 20 Besucher zu überwinden, die nahezu gestapelt saßen. Trotzdem, der Druck war groß, denn der selbstgefällige Geck auf der Bühne machte keine Anstalten, die Show in weniger als zwei Stunden zu Ende gehen zu lassen. Die Bar war näher als der Ausgang und die Vorstellung eines Hinterausgangs war verlockend.

In der nächsten Liedpause stiegen wir Kamikaze-Style von unserem Hochstand herab und kämpften uns zur Theke durch. Das war die falsche Richtung, einen Hinterausgang gab es nicht. Wir hatten uns in eine Sackgasse manövriert. Von unserem neuen Standort aus war es unmöglich, zu den alten Plätzen zurückzukehren und der Ausgang war auf einmal noch viel weiter entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Auch in diesem Moment arbeiteten P.s und mein Gehirn wieder synchron, als wir erkannten, dass der einzig mögliche Fluchtweg über die Bühne führte. Direkt hinter dem Darbietenden vorbei. P. ist deutlich größer als ich und sieht um einiges ehrfurchtseinflößender aus, also musste er vorausgehen.

Die nächste Liedpause, in der Heinzer sich ein paar Sekunden Pause gönnte, um sich des Schellenkranzes zu entledigen und wieder an den Tisch zu setzen, nutzten wir, um gemessenen und bestimmten Schrittes die Bühne zu betreten, uns dezent hinter dem Darbietenden entlangzudrücken und in Richtung Ausgang zu streben. Der Mann war so unsouverän, dass er nicht mal für diese Situation mit einem Spruch gewappnet war, der ihn noch als moralischen Sieger erscheinen ließ. Er drehte sich zu mir um und raunte ein:

Du machst mir Angst.

hinterher. Ich antwortete mit einem zugegebenermaßen recht einfallslosen „Mmmmhhhmmm“, was mir ein

Na, besser kommen als gehen

als Replik einbrachte. Nicht besonders komisch. Von der Bühne zum Ausgang waren es nur noch wenige Meter und ein paar „Tschuldigungs“ später erreichten wir den sicheren Hafen. Tür auf, raus, Tür zu, tief durchatmen, ein fassungsloses „War war das denn?“ gefolgt von einigen Trostbieren in der Wirtschaft nebenan beendeten nicht nur den Abend, sondern auch meinen Respekt vor Heinz Strunk.

Pietätloser erster Gedanke

Am Sonntag morgen ist Paul Spiegel gestorben. Er wohnte in Düsseldorf auf derselben Straße wie mein Vater, nur ein paar Häuser weiter. Seit Herr Spiegel Zentralratsvorsitzender wurde, steht Tag und Nacht vor seinem Haus ein besetzter Polizeiwagen, der diese ruhige Wohnstraße in Düsseldorf Oberkassel zur vermutlich einbruchsichersten Straße der Stadt gemacht hat. Wahrscheinlich kann man dort sogar sein Fahrrad unabgeschlossen auf der Straße stehen lassen.

Die Beamten habe ich oft bemitleidet, wenn sie bei Wind und Wetter in ihrem Wagen sitzen oder vor der Haustür stehen. Sie wissen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht haben, wenn nichts passiert ist. Was für ein langweiliger Arbeitsalltag.

Mein erster Gedanke, als ich im Radio vom Tod Spiegels hörte, galt den Polizisten. Bildhaft habe ich mir vorgestellt, wie sie — über Radio oder den Polizeifunk von dem Ereignis hörend — den Motor anlassen und einfach wegfahren. Oder zumindest glücklich gucken, weil dieser bodenlos langweilige Einsatz nun wohl wegfällt. Dass dies nicht so einfach geht, ist klar. Muss daran denken, meinen Vater zu bitten, mir Bescheid zu sagen, wann der Objektschutz auf seiner Straße eingestellt wird. Und in Zukunft das Fahrrad wieder anschließen.