Monthly Archive for Mai, 2007

Das verdunkelte Haus in Winterhude

Es gibt ein ganz seltsames Haus an der Heilwegstraße in Winterhude. Ich sehe es immer, wenn ich mit der U-Bahn dran vorbeifahre, zwischen Kellinghusenstraße und Sierichstraße. Ein schönes Haus, im Stil der Zwanziger Jahre, den ich so mag. Wie viele andere Häuser in dieser Gegend scheint es sehr reichen Leuten zu gehören. Es gehört nicht viel dazu, das zu erkennen: Wenn der Garten an die Alster grenzt, wird es eine Menge Geld kosten. Auch die Autos, die immer im Hof stehen, zeugen davon, dass die Leute, die mit diesem Haus zu tun haben, sehr wohlhabend sein müssen.

Bislang nichts, was einen in Winterhude aufmerken lassen sollte. Wenn dieses Haus nicht völlig verdunkelt wäre. Immer. Vollkommene Dunkelheit muss drinnen herrschen, zumindest Sonnenlicht fällt keins herein. Alle Fenster sind abgedeckt. Als ob man nach dem zweiten Weltkrieg die Feindverdunkelung nicht aufgehoben hätte. Es sind auch keine normalen Rolläden oder Jalousien, die das Sonnenlicht draußen halten, sondern schwarze Platten, die die Fenster verdecken. Im Erdgeschoss, im ersten Stock und bei den kleinen Dachfenstern im Dachboden — alles dunkel, alles schwarz.

Seit Jahren fahre ich mit der Bahn an diesem Haus vorbei, seit Jahren setze ich mich so hin, dass ich das Haus anschauen kann. Seit Jahren frage ich mich, was es damit auf sich hat. Wer da wohl lebt, wer sich da von der Außenwelt abschottet. Das Haus muss bewohnt sein, die wechselnden Autos in der Auffahrt zeugen davon, dass hier Leute ein- und ausgehen. Bin fasziniert davon, aber auch abgestoßen. Was kann das sein, wer lebt so? Ein paranoider Exzentriker? Jemand, der an einer Lichtallergie leidet?

Doch nun ist alles anders. Am Samstag ist es mir aufgefallen: Zumindest zur Straße hin sind die Verdunkelungen entfernt, die Fenster sind aufgerissen. Noch viel mehr als vorher versuche ich nun aus der Bahn heraus Details zu erhaschen, bislang ohne Erfolg. Kennt sonst noch jemand dieses Haus und hat jemand eine Spur, was es damit auf sich hat?

Meine Rache am Szene-Plattendealer

Ein etwas älterer Beitrag über einen Plattenladen bei Herrn bosch ruft mir eine Situation ins Gedächtnis, die sich möglicherweise in genau dem von ihm beschriebenen Geschäft abgespielt hat, irgendwo im Schanzenviertel. Also bitte erstmal beim boschblog vorbeischauen, dann hier weiterlesen.

Fertig? OK. Vor ein paar Jahren, als die Sportfreunde Stiller gerade mit der „Guten Seite“ ein respektables Album veröffentlicht hatten, suchte ich eben diese CD, um sie zu verschenken. Problematisch war, dass es von dem Album zwei Versionen gibt, die sich durch einen Bonustrack unterscheiden. Erstaunlicherweise ist der Bonustrack einer der besten auf der Platte und so suchte ich genau diese Fassung.

Unterwegs im Schanzenviertel habe ich erfahren, wie es ist, in Szeneläden etwas anderes zu suchen als obskure japanische Importmaxis, vgl. dazu auch Max Goldts „Junger Mann, der sich eine Schallplatte gekauft hat.“. Es ist grauenhaft, dieses herablassenhaft behandelt werden:

Ich: Ich suche die neue Sportfreunde Stiller, habt Ihr die da?
Plattendealer: (mit abschätzigem Blick) Schau mal unter ‚Laufkundschaft S‘ ‚Diverse S‘

Er hatte die CD dann tatsächlich da, aber nur das normale Album. Mit ebenso großer Herablassenheit habe ich sie stehen lassen und dem erstaunt guckenden Plattenhändler ein „Ach, das ist nur die normale Fassung, ich suche die Limited Edition“ entgegnet. Ha!

Bin dann bei WOM fündig geworden. Das war leider der Preis für meinen Stolz.

Das Großraumdampfbügeleisen

Heute mal ein wirklich praktischer Beitrag in den „Praktischen Dingen“: Wenn ich, wie in den letzten Wochen, mal für wenige Tage unterwegs bin, komme ich nicht umhin, einen zweiten Anzug und mehrere Hemden in den Trolley zu packen. Komme ich aber abends im Hotel an, sehen die Sachen furchtbar zerknittert aus, ganz egal wieviel Mühe ich mir beim Packen gegeben habe. Nicht gut.

Ist allerdings kein Problem, wenn das Hotel ein Bad hat, in dem man die Lüftung abschalten kann. Dann reicht es normalerweise, die Kleidungsstücke auf (mitgebrachten!) Kleiderbügeln ins Bad zu hängen, die Dusche auf „superheiß“ aufzudrehen und von außen die Tür zu schließen. Nach ein paar Minuten ist der Raum so voll Wasserdampf, dass man die Dusche abdrehen kann. Aber schnell machen, damit der Wasserdampf nicht entweicht. Nach weiteren zehn Minuten haben sich die Klamotten so voll Dampf gesogen, dass sie wundebar glatt aushängen und aussehen wie frisch gebügelt. Macht zehn Minuspunkte für die persönliche Ökobilanz, ist aber auch nicht böser als ein zweites Mal am Tag zu duschen.

Falls dies der älteste Hut der Welt sein sollte, bitte ich um wohlwollendes Schweigen. Danke.

Die Saison geht zu Ende

Abpfiff. Das war’s. Der FC St. Pauli spielt wieder in der zweiten Bundesliga, aber erstmal hält das ganze Stadion die Luft an. Kein kollektiver Schrei, kein Konfettiregen. Am lautesten sind die Dynamo-Fans in der Nordkurve mit ihrem Gesang. Dann setzt langsam die Gewissheit ein, dass vier Jahre Regionalliga gerade ein Ende gefunden haben, aber die Spannung des Moments ist schon verflogen.

Kein großer Stimmungskatalysator ist das „offizielle Aufstiegslied“, das der Stadionsprecher ankündigt, als die Mannschaft sich nach dem Kreis der Gegengerade stellt. Eine unerträgliche Coverversion von Jingle Bells erfüllt das Stadion. Übler als das Fan-Lied von Hertha, das will was heißen. Zwar so laut, dass man die Dresdner nicht mehr hört, aber das ist auch nicht besser. Nur mit größter Mühe können wir diese Retortenscheiße mit You’ll Never Walk Alone übertönen. Wer auch immer sich dieses Lied ausgedacht hat: Nächstes Mal bitte vor der Veröffentlichung von anderen Leuten probehören lassen.

Die Mannschaft hat es uns an diesem Freitag nicht leicht gemacht. Der eine Punkt, der notwendig war, musste hart erkämpft werden. Zwar lagen wir nie zurück, aber von der Auswärtsschwäche der Dresdner war nicht viel zu spüren. 2:2, schade, ich hätte Patrick Borger eine gegentorlose Heimserie gewünscht. Unglücklich auch Mazingu, der nach dem gegnerischen Ausgleich in der Nachspielzeit doch noch auf 3:2 erhöhen könnte, aber nur den Pfosten trifft. Redet hinterher keiner mehr drüber, ist aber doch schade.

Durchgedreht waren die Dresdner Fans. Habe das erste Mal erlebt, wie es ist, wenn einen Fan-Gesänge zermürben. Die haben in eine, durchgesungen. Genau ein Lied, aber wenn man das ungefähr eine Stunde am Stück hört, wird man leicht irre im Kopf. Da kann man selbst schreien und singen, wie man will, aber bei jedem Luftholen ist der Gesang aus dem Gästeblock zu hören.

Die Saison-Abschlussparty im Knust kommt nicht so richtig in Gang. Liegt vielleicht an den Hundertschaften der Polizei, durch die man sich am Bahnhof Feldstraße drängen musste. Leichtes Unwohlsein keimt in mir auf. Ich stehe inmitten eines großen Kreises schwer geschützter Polizisten und fühle mich gar nicht wohl behütet. Was passiert, wenn die jetzt aus einer Laune heraus den Kreis zumachen?

Im Hof vor dem Knust dann endlich die Gelegenheit, mich mit der Freundin A. zu unterhalten, die vor einigen Monaten der Stadt und dem gemeinsamen Arbeitgeber den Rücken gekehrt hat. Gut sieht sie aus: das strahlende Lächeln, das ihr zwischenzeitlich durch den Beruf verloren gegangen war, ist wieder da. So richtig ist mir trotz allem nicht nach Feiern zumute. Ich trinke noch zwei Bier und mache mich auf den Weg nach Hause.

Bis August kein Fußball mehr. Schade.

Kann ich bitte Outlook wiederhaben?

Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas mal sagen würde. Doch seit ein paar Tagen habe ich das sehr zweifelhafte Vergnügen, wieder Lotus Notes als Mailprogramm benutzen zu dürfen. Es war ein paar Jahre von meinem Software-Radar verschwunden, in denen ich es nicht besonders vermisst habe.

Nun kann ich getrost sagen, dass es auch in der neueren Version nicht hübscher oder gar angenehmeer zu benutzen geworden ist. Es hat immer noch alles, woran ich mich erinnere: Eigentümliche Hotkeys? Check. Wenig einleuchtendes Bedienkonzept? Check. Menüstrukturen, die nichts ähneln, was es sonst am Markt gibt? Check. Hässliche, hausgemachte Icons? Check.
Für die hässlichen, hausgemachten Icons kann Notes ja nichts, aber alle Organisationen, in denen ich Notes bisher verwendet habe, gab es hässliche, hausgemachte Icons. Notes scheint das besonders zu unterstützen und sich mit hässlichen, hausgemachten Icons sehr wohl zu fühlen. Vermutlich hat es ein Zeichenprogramm eingebaut, das nur mit vier Farben umgehen kann und ausschließlich 32×32 Pixel große Grafiken erstellen kann.

Astronomisch schlechte Komplimente

Immer mal wieder hört man das Wort „Shooting Star“ als Kompliment für einen jungen, kometenhaft aufstrebenden und erfolgreichen Menschen. Diese Aussagen sind immer positiv konnotiert.

Warum eigentlich?

Zuerst ein Wort zum „kometenhaften Aufstieg“: Wieso eigentlich Aufstieg? Steigen Kometen? Die Dinger fliegen doch eher sehr lang und sehr allein durchs Weltall. Aufgestiegen ist da nichts.

Ein shooting star ist auf Deutsch eine Sternschnuppe. Was zeichnet eine Sternschnuppe aus? Sie blitzt kurz auf, ist hübsch anzusehen und verglüht dann ganz, ganz schnell. Nicht gerade etwas, das durch besondere Nachhaltigkeit besticht. Das lässt das Kompliment in eher zweifelhaftem Licht dastehen. Um es mit einem Titel der ewig unterschätzten EMF zu sagen: „The Light That Burns Twice As Bright Burns Half As Long“.

Im Kopf der Apostroph-Mafia

An dem Büro, das ich in Frankfurt nutze, steht außen am Türschild „Buchbare Arbeitsplätze“. Innen sind ein paar Regeln festgehalten, wie das mit dem Buchen dieser Schreibtische funktioniert. Beachtet bitte die Überschrift:

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Aus einem perversen Vergnügen rein wissenschaftlichem Interesse heraus hätte ich gerne in dem Kopf der Person gesteckt, als sie diese Wörter so geschrieben hat. Was passiert in dem Moment? Wie kommt man drauf, den Plural von „do“ mit einem „e“ anzureichern, bei „don’t“ aber ein Apostroph zu verwenden, dabei sogar das andere Apostroph zu entfernen, denn — wie sieht das denn aus? — zwei Apostrophe in einem Wort? Spätestens dann muss man doch merken, dass da irgendwo etwas nicht ganz stimmen kann.

Es ist mir ein Rätsel. Und ich sehe ja ein, dass es Wichtigeres auf dem Planeten gibt als sich über so etwas zu wundern, z.B. Kursbücher auswendig lernen.

World Press Photo

Bei Gruner&Jahr sind zurzeit die Sieger des World Press Photo Wettbewerbs zu sehen. Eine hochspannende Ausstellung. Es gibt drei Themenbereiche: Sport, Tiere und Krieg/Elend. Die Welt ist einfach gestrickt. Hier ein paar Eindrücke:

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Eins der Bilder aus der bestprämierten Fotoserie zum Thema Sport. Hätte sich der Mann in der Mitte in dem Moment am Sack gekratzt oder in der Nase gebohrt, hätte es bestimmt Abzüge in der B-Note gegeben.

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Hierbei ist es sehr wichtig, zuerst das Bild und dann den Text zu lesen. Ansonsten könnte man bei dem Satz „Schüler der Beijing Guoan Football-Club Schule üben Köpfen“ auch ganz anders verstehen. Schlimm, dass mich das angesichts des ansonsten dargestellten Elends auch nicht besonders zum Grübeln gebracht hat.

Ein Abend im Süden

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Mek und Merlix luden ein zur Lesung im Südbalkon in Wilhelmsburg. Für mich war das das erste Mal auf der Elbinsel, die mir bisher nur aus Gerüchten und Absolute Giganten bekannt war. Weder im Film noch beim Hörensagen kommt der Stadtteil besonders gut weg. Doch es tut sich etwas: Allerorten hört man, dass der Stadtteil in den Startlöchern steht, das nächste Ottensen oder die nächste Schanze zu werden.

Umso gespannter waren Eckart und ich, als wir uns auf den Weg machten. In Wilhelmsburg aus der S-Bahn auszusteigen ist eine kleine Mutprobe. Muss man hier wirklich Angst haben, schon auf dem Bahnsteig ausgeraubt zu werden? Wir ignorieren die offensichtlichen Gefahren und steigen schnell in den wartenden Metrobus 13. Dank einer nicht zu hundert Prozent hilfreichen Wegbeschreibung haben wir die Gelegenheit, die Veringstraße ein paar hundert Meter hinaufzugehen. Bis auf ein kleines Straßenrennen zwischen einem Mercedes Cabrio und einem Motorrad, die mit ca. 100 km/h (und weiter beschleunigend) die schnurgerade Straße entlangrasen, ist hier nichts ungewöhnlich.

Im Südbalkon sind wir unter den ersten Gästen. Mek hatte nicht übertrieben: Hier passen maximal dreißig Zuhörer rein. Dreißig werden es dann doch nicht, aber ein paar bekannte Gesichter kommen bald dazu, als wir auf dem Bürgersteig biertrinkend den Pommesteller der sehr offensichtlich schwangeren Herzdame herumreichen. Der Grieche von gegenüber macht sehr gute Pommes. Überhaupt: die Gastronomie auf diesem kurzen Stück der Veringstraße ist nicht zu verachten: Neben dem Griechen gibt es zwei Portugiesen, beste Voraussetzung für die notwendige Galao-Versorgung eines kommenden Szene-Stadtteils.

Beginn der Lesung ist gegen halb zehn. Mek liest seinen verregneten Sommer, Merlix trägt aus seinen Travemünder Erinnerungen vor. Danach gibt es den verteilt gelesenen Text über den harten Winter 78/79 in Lübeck. Selbst gelesen hatte mir die Geschichte nicht so sehr zugesagt, aber vorgelesen vom staatlich anerkannten Experten für südländische Geschichten und seinem norddeutschen Gegenpart war es ein großes Vergnügen.

Plötzlich ist es halb eins, die Zugereisten machen sich auf den Weg zurück auf das Festland. Eckart und ich nehmen den Bus und haben auf dem Weg bis zur S-Bahn die skurrile Begegnung mit einem Junggesellinnenabschied, dem die Braut abhanden gekommen ist, auf dem Weg zum Kiez. Bei den Grazien ist es auch kein Wunder, dass sich die Braut ausgeklinkt hat. Wer will schon mit Freundinnen gesehen werden, die — wie Eckart sagt — Paris Hilton zur Stilikone erhoben haben?

Sicher und wohlbehalten erreichen wir den Hauptbahnhof. Obwohl ich die Stadtgrenze nicht verlassen habe, kommt es mir doch vor, von einer Reise zurückgekommen zu sein.

Lieblingsstraßennamen

Zu meinem bisherigen Lieblingsstraßennamen, der Kußmaulstraße in Heidelberg, gesellte sich letztens bei einer Fahrt durch den Hamburger Norden ein weiterer Straßenname: Die Frustbergstraße.

Vermutlich ein alter Hamburger Taxi-Kalauer ist es, am Flughafen Fuhlsbüttel in die erste Droschke einzusteigen und den Fahrer mit „Vorsetzen, bitte“ zu verwirren.

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