Monthly Archive for Juli, 2007

Angriff der Silberlinge

AOL hat große Ambitionen: Bis Ende 2007 will man die Kundenzahl verdoppeln. Im Abendblatt heißt es: „Im Mai verbrachten deutsche Surfer mehr als 3,4 Milliarden Minuten auf den AOL-Seiten […]“.

Wie kommen 3.400.000.000 Minuten zustande? Einfach. Bei 500 Freiminuten AOL pro Gratis-CD muss man lediglich 6,8 Mio CDs an Supermarktkassen auslegen oder Druckerzeugnissen beilegen. Wenn die das verdoppeln wollen, eieiei. Ich mach mich vorsichtshalber drauf gefasst, bald wieder mit Gratis CDs bombardiert zu werden. Herzlich willkommen zurück, 2001!

Kurzer Sprung in die Achtziger

Es gab vor langeer Zeit mal eine Zeit, in der ich fernsehmäßig nicht nur voll up-to-date, sondern sogar dem bundesdeutschen Mainstream sogar ein wenig voraus war: Die Achtziger. Wir hatten Kabel. Ursprünglich wollte die Deutsche Bundespost das Kabel in unserem Stadtteil nur bis zur Ecke mit der Bushaltestelle verlegen, doch ein paar Nachbarn und meine Eltern bekundeten Interesse und bewirkten dadurch, dass ein paar hundert Meter weiter gebuddelt wurde.

Durch diese Kupferader des Lebens gelangte sehr viel buntes und grelles Fernsehen in unser Haus. Für mich bedeutete das vor allem Zugang zu MTV (für die jüngeren: MTV war früher ein Sender, der Musik spielte. [Gibt es hier überhaupt „jungere“?]), und innerhalb von MTV ganz besonders die Spielshow Remote Control.

Prägende Stunden meiner Jugend verbrachte ich vor der Glotze im Keller-Studio von Ken Ober, der täglich drei Kandidaten durch eine Reihe sehr vergnüglicher Spiele steuerte. Das gab es sonst im Fernsehen nicht. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es die „große Samstag-Abend Show für die ganze Familie“ oder das damals heftig diskutierte „Tutti Frutti“ mit seinen pornographischen barbusigen Elementen. Vielleicht gab es noch ein paar Spielshows mehr, aber nichts war wie die täglichen dreißig Minuten Remote Control. Zwar fehlte mir bei vielen Fragen das Wissen über amerikanische Popkultur, aber die Spiele wurden höchst komisch präsentiert.

Sicherlich war das weitgehend geistfreie Unterhaltung ohne den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, doch wer seine Fernsehbiographie mit den „Drei Fragen aus der Tagesschau“ bei Carrells „Am laufenden Band“ begann, wird die unterhaltsame Belanglosigkeit solcher Fragerunden wie „Dead, Alive or Indian Food“ (Q: Ravi Shankar, A: He’s Alive. Q: Dal Kofta, A: Dead. No, sorry, it’s Indian food) oder „Train, Plane or Insane“ (Q: Spirit of St. Louis, A: Plane. Q: Adolf Hitler, A: Insane) zu schätzen wissen. Dort gab es keine Rundfunkräte, die Einspruch erheben, wenn bei „Beat the Bishop“ Bischöfe (oder Rabbis) durch’s Studio rennen, während die Kandidaten Rechenaufgaben lösen.

Im Internet gibt es bemerkenswert wenig zu dieser Serie. Einen Wikipedia-Eintrag und von dort aus Links zu Seiten, die zumindest ein paar Video-Schnipsel haben.

Wer seine Erinnerungen auffrischen will, möge die Haare toupieren, die Leggins anziehen und sich in diese Zeitmaschine hier bewegen (Link zu den gestreamten Clips ganz unten).

Schwarzbrennerei

Sich abends beim Nachhausekommen über den Brief der Hausverwaltung mit der Ankündigung der Rückzahlung von 254 Euro aus den Nebenkosten zu freuen ist eine Sache.

Am nächsten Morgen zu merken, dass in der Nebenkostenabrechnung gar keine Position für Gas enthalten war und dass es angebracht gewesen wäre, beim Einzug vor 16 Monaten nicht nur dem Stromversorger den Umzug mitzuteilen, sondern auch den örtlichen Gasversorger um Belieferung zu bitten, eine andere.

Strahlender Sommer

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So, Vattenfall, kann man das, was Ihr da gerade veranstaltet, natürlich auch nennen. Humor habt Ihr ja. Aber mal im Ernst: Wie geht’s denn nach dem 22.08. weiter?

Im Buchhandel

Bin ein treuer Leser des Buchhändlerinblogs von Aci. Ähnlich wie beim Elektronikladenblog sitze ich eher häufig als selten kopfschüttelnd vor dem Computer wundere mich darüber, mit was für Psychopathen die beiden in ihrem Einzelhändlerberufsleben Tag für Tag in Kontakt kommen. Ab und zu ertappe ich mich dabei, die Berichte für übertrieben zu halten, denn so viele Spinner, wie den beiden begegnen, kann es auf der Welt gar nicht geben.

Bis ich am letzten Samstag das neue Potter Buch erstehen wollte und bei der Buchhandlung im Quarré vor dem Büchertisch stand. Die Toonblogger könnten hier einen schönen Tisch zeichnen, auf dem sich (leicht übertrieben) meterhoch die „Deathly Hallows“ stapelten und außerdem noch ein paar Ausgaben der älteren Romane lagen. Doch ich kann nicht zeichnen, daher ein Appell an die Fantasie meiner Leser. Also: großer Haufen neue Bücher, kleiner Haufen alte Bücher.

Ich stehe ca. eine Minute vor dem Tisch und überlege, ob ich das Buch heute kaufe oder in der kommenden Woche. Ein älterer Herr, der nur dezent derangiert aussieht, drängt sich an den Tisch und zeigt zielstrebig auf eins der älteren Bücher:

Er (zeigt auf „The Prisoner of Azkaban“ in der Taschenbuchausgabe): Ist das das Neue?
Ich (zeige auf den großen Stapel): Nein, dieses hier.
Er (zeigt nach wie vor auf das ältere Buch): Ah, dann ist das hier das Neue.
Ich: Nein, dieses hier. Das ist der neue Titel.
Er: Aber das hier ist das Neue… [murmelt unverständlich]
Ich (hebe das neue Buch hoch, halte es ihm hin): Dieses hier ist heute rausgekommen.
Er: Ach, das ist auf Englisch, Wo ist das denn auf Deutsch?
Ich: Das Buch ist heute nur auf Englisch rausgekommen. Deutsch im Oktober.
Er: Aber das hier ist Englisch, das nützt mir nichts. [Trollt sich]

Ab diesem Moment war mir klar, dass ich erstens niemals im Einzelhandel arbeiten möchte und zweitens ich ab sofort alles ohne Vorbehalt glaube, was Aci und Thomas in ihren Blogs schreiben. Ich stehe ungefähr eine Minute in der Buchhandlung und der erste Irre kommt. Von dieser Sorte ein Dutzend pro Tag und ich bin nach zwei Wochen reif für ein Heim für sehr, sehr nervöse Menschen.

Offline

Habe seit Sonntagabend meinen Computer nicht mehr angeschaltet. Keine Ahnung, wann diese Abstinenz das letzte Mal vorkam. Danke, Frau Rowling.

Mein persönlicher Taxifahrer

Nach dem langen Abend mit dem Essen bei der gemeinsamen Freundin sitzen S. und ich auf der Straße und warten „ca. 8 Minuten“ auf das Taxi. In angenehmer Erinnerung meiner letzten Taxifahrt erzähle ich S. von dem sympathisch schrulligen und unaufgeregtem Fahrer, der nicht mit konstant 90 km/h durch die Stadt preschte, sondern angenehm fuhr und fließend Deutsch sprach.

Karma hin, Bestimmung her: S. stieg zuerst zuhause aus, wir fuhren weiter bis zu mir. Kurz vor dem Aussteigen fiel mir auf: dieselbe Fistelstimme, dasselbe Foto des Fahrers als Wolle Petry-Double klebte an derselben ungewöhnlichen Stelle unter dem Gebläse an der rechten Vordertür wie zwei Wochen vorher.

Ich: Entschuldigung, aber kann es sein, dass Sie mich vor zwei Wochen schonmal von Eimsbüttel aus nach Hause gefahren haben?

Taxifahrer: Ja klar, jetzt, wo Sie’s sagen. Wir sind über den Rübenkamp gefahren, anders als Sie sonst fahren würden.

Bitte, wie klein ist die Welt? Ich habe mich mit einem völlig ernst gemeinten „Bis zum nächsten Mal“ von meinem Chauffeur verabschiedet.

Simpson Charaktere

In dem einen oder anderen Blog gibt es ja derzeit Hinweise auf den Simpsons Charakter-Generator.

Hier eine Variation davon: Mit ein paar gesammelten Schraubverschlüssen kann man eine einfache Wasserflasche in Marge Simpson verwandeln.

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Piep-Piep (Zivildienst V)

Eine der liebsten und skurrilsten Personen, die ich während des Zivildienstes kennengelernt habe, war Frau M. Sie lebte alleinstehend in einer größeren Wohnung in der Nähe der Dienststelle in Düsseldorf-Flingern. Frau M. wurde ab und an von den Schwestern der Sozialstation betreut, kam aber im allgemeinen allein ganz gut zurecht. Dennoch beauftragte man mich, einmal die Woche bei Frau M. zum Einkaufen vorbeizufahren, da den Kolleginnen Frau M. nicht ganz geheuer war.

Frau M. lebte ohne Strom und Heizung. Nicht, weil sie sich diese Dinge nicht hätte leisten können, sondern, weil sie auch ohne ganz glücklich war. Sie war zugegebenermaßen etwas exzentrisch, wie sie mit schlohweißem Haar und wenig Zähnen — aber immer im Mantel — in ihrer Wohnung herumlief und regelmäßig im Schülerduden Mathematik schmökerte.

Ich war ganz gerne bei ihr, nur leider — das war wirklich unangenehm — roch es in der Wohnung beißend nach alter Frau und nach Kerzenwachs. Weder Frau noch Wohnung machten einen verwahrlosten Eindruck. Der Geruch nach Kerzenwachs rührte aus der Küche, wo Frau M. im Spülbecken eine beachtliche Menge Kerzen aufgebaut hatte, auf denen sie ihr Essen zubereitete. Dass sie bei den Temperaturen im Winter 1991/92 nicht ausführlich lüftete, war aus ihrer Sicht auch verständlich.

Es dauerte ein paar Wochen, bis ich merkte, dass die Frau gar nicht so irre war, wie alle meinten. Ich ging normale Dinge für sie einkaufen. OK, sie hatte einen hohen Konsum an Kerzen und Graupen, aber Rätselzeitschriften und das „Echo der Frau“ habe ich für andere Damen auch gekauft. Wie sie die Graupen auf den Kerzen weichgekocht gekriegt hat, war mir ein Rätsel.

Überrascht hat sie mich zu Ostern 1992, als sie mir ein Osterküken schenkte. Eins aus Plastik, mit plüschigem, gelben Fell. Unter den Füßen hatte es zwei Metallkontakte. Berührte man beide, schloss sich eine Stromkreis und das Küken machte Piep-Piep Geräusche. Sie freute sich wie Bolle darüber und ich war tief gerührt. Dieser Kontrast: Eine Frau, die ohne Strom lebte, aber sich diebisch über ein elektronisches Spielzeug freute. Herrlich.

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Piep-Piep lebte ein paar Monate in der Brusttasche meiner Jeansjacke. Irgendwann wanderte es in die Kiste mit den Erinnerungsschätzen und in Mutters Keller. Beim mütterlichen Umzug im Mai tauchte es wieder auf: Unverändert gelb, das blaue Schleifchen um den Hals intakt und die Batterien gingen auch nach 15 Jahren noch. Es war ein herzliches Wiedersehen.

Zuviel Zeit

Torsten macht mich auf eine Website aufmerksam, bei der selbst ich als, nun, eisenbahninteressierter Mensch mit Kopfschütteln die Frage stelle, ob manche Leute die richtigen Prioritäten im Leben haben.