Monthly Archive for September, 2007

Panzertapegrafitti

Ein Grafitti zu schreiben, das sich vergleichsweise leicht und rückstandslos entfernen lässt und das mir auch noch ein wunderschönes Lied in den Kopf zaubert — das schaffen nur feinfühlige Tocotronic Verehrer.

IMG_1222_480.jpg

Mit schönen Grüßen vom Fotoausflug am Sonntag, direkt am S-Bahnhof Veddel.

Das war’s dann, Cult

Es war schon früh am Morgen, als die Freunde und ich das Cult verließen. Wider Erwarten war auch ein wenig Wehmut dabei, schließt dieser Club doch am nächsten Wochenende seine Pforten.

Ich gehe nicht häufig auf der Reeperbahn aus, aber seit ich in Hamburg wohne, ist es für den Freund A. und mich ein schönes Ritual geworden, alle paar Monate in den Keller der Großen Freiheit 2 hinabzusteigen und dort, entgegen sämtlicher sonstiger Hörgewohnheiten, der puren 80er Lust zu frönen.

Nach allen objektiven Parametern dürfte mich nichts reinkriegen in den Laden: Die Musik ist mit „abgenudelt“ noch liebevoll umschrieben, die Enge dort ist nichts für Leute mit einem Hang zur Klaustrophobie und das Publikum… Naja, darüber hüllen wir den Mantel des Schweigens. Nur soviel: Zu einem überschaubaren Kern an Stammgästen gesellen sich reichlich Leute aus dem Umland. Gebaggert wird viel (auch nicht so mein Ding), zum Teil habe ich das Gefühl, das ausgesonderte Testosteron an den kondenswassernassen Säulen herunterlaufen zu sehen.

Ist ja nicht so, dass wir nicht auch mal andere Clubs ausprobiert hätten, oder als ob es auf/an der Reeperbahn nicht noch andere Läden gebe, trotzdem hat es uns Mal für Mal wieder in den höchst barock dekorierten Keller herabgezogen, zur nächsten Depeche Mode-Party.

Und nun ist es aus damit. Wir müssen uns endgültig einen anderen Laden zum Tanzen suchen. Auf keinen Fall verstehen wir die Schließung als einen subtilen Hinweis des Weltgeists, dass unsere Zeit nun abgelaufen ist und wir endgültig abtreten müssen. Könnte dem Weltgeist so passen, aber so leicht lassen wir uns nicht unterkriegen.

Ruft mich bloß nicht mehr an, Ihr Gewinnspieler

Keiner auf der Welt hat soviel Glück wie ich. Zumindest gewinnt keiner so häufig in Lotterien wie ich. So etwa alle zehn Tage erhalte ich einen Anruf, mit dem ich mal wieder auf einen Gewinn hingewiesen werde. Ein Computer ist es, der anruft und mir mit dieser jovial-lasziven Stimme, die ich sonst nur von Navigationsgeräten kenne („Es kann losgehen“), auf den Anrufbeantworter haucht, dass ich nur diese eine Nummer anrufen müsse, um meinen Gewinn abzuholen. Was für ein Glück. Ich würde zwar lieber von einem Menschen benachrichtigt werden, aber gut. Wer so häufig gewinnt, kann sich halt nicht alles wünschen.

IHR VERDAMMTEN ARSCHGEIGEN VON DER NUMMER 0900/3101388! Ich will nicht mehr, ich habe keinen Bock mehr, zu Hause angerufen zu werden. Besonders nicht von Computern. Lasst einen Studenten anrufen, den ich anschreien kann! Ich will den Preis nicht!

Ich habe das Gefühl, dass diese Anrufmasche schwer illegal ist. Ich hätte gute Lust, irgendjemanden abzumahnen. Hat jemand Hinweise, wie ich das am besten mache? Irgendwelche Verbraucherschützer im Publikum?

Keepin‘ it Real

Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs gegen Microsoft von gestern ist für uns Verbraucher ein Segen. Was mir allerdings nicht bewusst war, ist, welche Firmen damals die Klage angestrengt haben. Heute lese ich bei Apple Insider:

RealNetworks and other firms participating in the investigation had argued that they were unable to gain meaningful marketshare, as few customers were aware of (or needed) an alternative program to play music and videos.

RealNetworks, habt Ihr vielleicht mal drüber nachgedacht, dass Eure Software der aufdringlichste und nervtötendste Scheiß ist, der bisher im Bereich Medienplayer veröffentlicht wurde? Ich erinnere mich mit Grausen daran, dass Ihr in der Windows-Version des RealPlayers an der Stelle, an der ich die Funktion „Programm beenden“ erwartet habe (letzte Option im Tray-Kontextmenü), eine Funktion wie „Vollversion kaufen“ oder etwas ähnlich Sinnloses untergebracht habt. Oder dass Ihr drauf besteht, bei der Installation wirklich sämtliche Dateitypen mit dem RealPlayer zu assoziieren. Das, liebe RealNetworks, sind die Gründe, weswegen die Kunden Euch links liegen lassen. Wenn es nicht irgendwo im Netz noch veraltete RM-Videostreams gäbe, hätte ich Euch schon längst von der Platte gefegt.

Der Ostblock in den Köpfen

Sehr informativ, tagesschau.de, ist Dein Artikel über die slowakisch-ukrainische Grenze kurz vor der Aufnahme der Slowakei in den erlauchten Kreis der Unterzeichner des Schengen-Abkommens.

Auch immer wieder hilfreich sind Deine Links zu weiteren Länderinformationen. Aber sag mal, tagesschau.de, Du hast schon mitbekommen, dass Tschechien und Slowakei nicht mehr im Doppelpack zu haben sind? Das sind seit Neuestem zwei eigene Länder. Ist eine andere Situation als bei Aronal und Elmex oder Binder und Härter.

tschecheslowakei

Also, bei Gelegenheit mal verbessern und schnell wieder schlafen legen, ja?

Wer passt zu mir: Hilfe bei der Partnerwahl

Neben solch Kriterien wie „Fühle ich eine Seelenverwandschaft mit dem Partner?“, „Verzaubert es mich, sie anzuschauen?“, „Haben wir grandiosen Sex?“ geht es bei der Auswahl des Partners für das Leben auch um alltägliche Dinge. Zum Beispiel: Mögen wir dieselbe Musik? Können wir gemeinsam ins Kino gehen, ohne uns bei der Auswahl des Films zu zoffen? Können wir eine Dose Haribo Colorado aufteilen, ohne dass einer hinterher furchtbare Bauchschmerzen hat, weil er die ganzen leckeren Teile zuerst gegessen hat, bevor die andere sie alle bekommt?

Besonders letzteres ist ein schrecklicher Punkt. Ich hörte, dass Beziehungen daran zerbrochen sind, wer die roten Gummibärchen essen darf. Um genau dieses zu vermeiden, empfehle ich, im Anbahnungsprozess einer Beziehung den Colorado Test zu machen!

Versuchsanordnung: Eine 1 kg Dose Haribo Colorado wird auf einen Teller verteilt, wie im unten stehenden Foto.

IMG_1152.JPG

Dann teilen die beiden Versuchspersonen unabhängig und unbeeinflusst voneinander den Inhalt der Dose in drei Kategorien „Sehr lecker“, „Geht so“ und „Bäh!“ auf. Idealerweise machen das wirklich beide allein, ohne, dass die andere Versuchsperson im Raum ist. Selbstverständlich ist naschen verboten. Das zerstört den Versuchsaufbau und erfordert den sofortigen Abbruch des Versuchs.

IMG_1162.JPG

Hinterher werden die Kategorien verglichen. Wenn sich die Kategorien zu sehr decken, ist Vorsicht angesagt. Kann das wirklich gutgehen, wenn beide nach den leckeren Kokosummantelten Lakritzstücken geiern? Anders hingegen, wenn die Teile, die der eine als „Sehr lecker“ eingeordnet hat, beim anderen unter „Bäh!“ zu finden sind — das ist eine ideale Voraussetzung für eine langjährige Harmonie.

(Wer übrigens diese fiesen Gelee-Himbeeren mit den Perlen mag, kann direkt bei mir einziehen. Unglaublicherweise enthielt die Versuchsdose nur eine einzige davon. Ganz unten stehen bei mir auch diese Schaumzuckerklötze. Die esse ich nur, wenn sonst nichts mehr da ist (außer Geleehimbeeren).)

Filme am Wochenende

Im Kino: Bourne Ultimatum. Laut, schnell, hektisch, unterhaltsam. Kann ich in Zukunft bitte weniger shaky cam haben? Der Film wirkte doch bei der einen oder anderen Szene, als ob das Sichtfenster einer Waschmaschine beim Schleudergang abgefilmt worden wäre. Buntwäsche, 40°.

Auf DVD: Stranger than Fiction. Guckbefehl. Was für ein rührender, einfühlsamer, herzzerreißend komischer und gleichzeitig unendlich tragischer Film. Hach, bin noch ganz benommen davon. Also, los jetzt, anschauen!

Neuigkeiten aus der Ladenzeile des Todes

Dem Chronisten fallen an diesem Samstag zwei Dinge in der Ladenzeile des Todes auf der Fuhlsbüttler Straße auf:

Der Bäcker im Eckhaus zum Habichtsweg hatte eine Woche zwecks Umbau die Fenster verklebt. Nun wirbt man mit bunten „Neueröffnung“-Schildern und freut sich auf die Kunden. Ob der Eigentümer gewechselt hat, kann ich wegen meines phänomenal schlechten Gesichter-Gedächtnisses nicht sagen. Nur soviel: Augenscheinlich hat sich innen nicht viel verändert. Könnte natürlich auch eine Marketing-Strategie sein: Einfach eine Woche lang die Fenster verkleben, dann so tun, als wär alles neu. Gewieft.

Zweitens: Das hier schon des öfteren erwähnte Fachgeschäft „Wein und Design“ trotzt meiner Aussage, dass sich in dieser Ladenzeile kein Laden länger als zwei Jahre hält. Zumindest die Hälfte haben sie, denn am 29.09.2007 feiert man den 1. Geburtstag (ab 18 Uhr mit Live-Musik. „Sagt allen Bescheid“ (Ultrá Sankt Pauli)).

Dazu passend schickte mir der Winzer meines Vertrauens seinen Newsletter. Am 01./02.12. findet dort die Weihnachtsweinprobe unter dem Motto Design & Wein statt. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Meine Paranoia droht überhand zu nehmen.

Stadionnotizen zum 3:1

Heimsieg, spannendes Spiel. B. sagte vor dem Spiel das 1:0 in der dritten Minute richtig voraus. Muss die Altersweisheit sein, der Mann ist gestern 50 geworden (hatte er mir nicht gesagt, ich hab’s von einem Bekannten erfahren (Die Ärzte)) [Erkennt man Software-Entwickler eigentlich daran, dass sie bei zwei öffnenden Klammern auch zwei Klammern schließen?]. Das Gegentor war ärgerlich, aber offenbar muss man bei Patrick Borger Anfang September mit solchen Aussetzern rechnen: das 1:2 gegen Bayern am 09.09.2006 und das 1:2 gegen Fürth am 02.09.2007 gingen massiv auf seine Kappe.

Heute das erste Mal gemerkt, dass die Leute, die um mich herum standen, nicht zum ersten Mal um mich herum standen. Gegenseitiges Wiedererkennen, Abklatschen bei Toren — macht man das unter dem komfortablen Deckmantel der Anonymität? Oder stellt man sich solchen Stadionbekanntschaften eigentlich mal vor? Bin noch nicht so weit in die Stadionetikette eingedrungen, habe die Dauerkarte ja erst im zweiten Jahr.

War jedenfalls ein schöner Abend. Bis auf den Regen. Mann. War. Das. Nass. Und ich hatte noch eine recht gute Regenjacke, aber mit meiner Jeans kann ich die Atacama-Wüste bewässern. Mehrere Tage lang.

Wiedergesehen. Nach langer Zeit.

Vor ein paar Tagen schrieb ich über mein Unbehagen über die Oberflächlichkeit beim Ehemaligentreffen. Bin in den letzten Tagen zum Glück auch eines besseren belehrt worden:

Samstag abend traf ich auf dem Kiefernstraßenfest den H. Wir beide waren in der fünften und sechsten Klasse dicke Freunde. H. war ein Jahr älter, aber in meiner Klasse. Er war saucool, hörte mit zwölf schon Frank Zappa, während ich mich meine musikalische Früherfahrung mit der Neuen Deutschen Welle machte. H. war dabei, als ich mich das erste Mal jemanden geprügelt habe (einem Bully aus seiner Nachbarschaft die Nase blutig geschlagen) und das erste Mal einen Fisch geangelt habe (habe mich vermutlich mehr erschreckt als das arme Rotauge am Haken und wusste überhaupt nicht, was ich nun mit dem Fang tun sollte. Ich wurde kein berühmter Angler).

Dann blieb H. sitzen, verließ ein paar Monate später die Schule und ich verlor ihn aus den Augen. Zwar habe ich ihn nicht mehr gesehen, aber über die eine oder andere Ecke im Freundeskreis hörte ich immer mal wieder von ihm. Doch gesehen habe ich ihn über zwanzig Jahre nicht. Bis Samstag. Da sagte die Freundin zu mir: Oh, schau mal, da drüben sitzt der H. und verkauft sein Curry. Bin zu ihm gegangen, wollte mal schauen, ob er mich erkennt. Hat er. Und obwohl wir uns so lange nicht gesehen haben, komplett unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen haben, war es eine traumhaft schöne Unterhaltung. Ist einiges an Erinnerungen hoch gekommen, Dinge die ich vergessen hatte, die ihm im Gedächtnis geblieben sind und umgekehrt.

Ebenso heute abend: Der A., mit dem ich ebenfalls ein paar Jahre intensiv befreundet war und der einfach so von der Bildfäche verschwand, meldete sich via Xing bei mir. Ich war zuerst unsicher, als er mich vor ein paar Tagen anschrieb, ob ich ihn wirklich treffen wollte. Haben wir aber doch gemacht, und es war klasse. Ruhiger ist er geworden, mit Frau und Kind und Position im mittleren Management. Immer noch ein scharfer Geist, aber die intellektuelle Arroganz, die ich damals faszinierend fand — die aber bestimmt eine Menge Leute abgeschreckt hat — hat er hinter sich gelassen. Zufrieden ist er, aber nicht selbstgerecht. Ich hoffe, es dauert nicht nochmal zwölf Jahre, bis wir uns das nächste Mal sehen.