Monthly Archive for April, 2008

LzdT 04/2008

Kurz vor dem Monatsende noch ein paar Eindrücke aus der Ladenzeile des Todes (LzdT). Nach einer Hochkonjunkturphase wird die LzdT wieder ihrem Ruf gerecht: Der türkische Lebensmittelladen „Schlemmermühle“ hat endgültig aufgegeben, die Regale sind bereits rausgeräumt, und der Mini-Euro Laden hat auch seit verdächtig langer Zeit „vorübergehend geschlossen“. Doch bevor ich wieder gescholten werde: Mir bereitet es keine Schadenfreude, wenn hier ein Laden zumacht, ich beobachte nur die Frequenz, mit der das in bestimmten Ladenlokalen passiert.

Interessant hingegen eine andere Entwicklung: Während Enrico Schüttler aus seiner Curry Bar (beste Currywurst der Welt! Auch gute Cocktails! Hingehen, hingehen, hingehen!) ein Vereinslokal des „Vereins für Vökerfreundschaft, Toleranz und zur Pflege des Rauchens“ (oder so ähnlich) gemacht hat, hat die Bäckerei nicht die Gesetzesücke gesucht, klein beigegeben und einen Raucherraum abgeteilt. Oder eher einen Nichtraucherraum, denn nun gibt es einen Haufen Rauchertische und beim oberflächlichen Hinsehen zwei oder drei Nichtrauchertische. Aber gut, da gehe ich ohnehin nicht hin. Zumal die Tür zum Raucherraum üblicherweise offen steht.

Literatur- und Mutterwochenende

An diesem Wochenende reichlich Kultur getankt: Museen und Lesungen, soweit das Auge reicht. Außerdem mal wieder die Stadtführerfähigkeiten aufpoliert, da die Mutter das erste Mal seit längerer Zeit zu Besuch war. Dass sie am letzten Wochenende nach Hamburg kommen würde, haben wir vor Monaten fest gemacht. Als die Ankündigung zur Bar 4.0 Bloglesung im Javahouse in Eimsbüttel durch die Blogosphäre der Freien und Hansestadt kolportiert wurde, war meine erste Reaktion „Oh weh, da kann ich leider nicht hingehen, habe ja Besuch. Dabei hätte ich gerne die Lu und den Mek wiedergesehen — und die anderen natürlich auch“. Einmal drüber nachgedacht, zweimal drüber nachgedacht, dann überlegt, dass sich Mutterbesuch und digitale Literatur ja nicht ausschließen. Immerhin liest sie seit zwei Jahren hier mit und freut sich daran, auf diese Weise etwas vom Leben des Sohns mitzubekommen, den es in die ferne Stadt verschlagen hat. Sie hatte auch nichts gegen die Idee, also war für die Abendveranstaltung gesorgt, die lange Nacht der Museen hatte das Nachsehen. A propos: Es gibt keinen besseren Tag, um ins Museum zu gehen, als der Nachmittag vor der langen Nacht. Selten so ein angenehm leeres Museum besucht wie die Ballinstadt an diesem Nachmittag.

Einlaufen vor dem Javahouse, nachdem wir uns noch beim Umdieecketürken mit Fast Food versorgt hatten, das wir pflichtgemäß auf den Treppenstufen vor einem Haus an der Osterstraße verspeisten. Großes Hallo zur Begrüßung. Und der Versuch einer Vorstellung: „Das sind Isa, Lu, Mek, Maximilian, das ist meine Mutter.“

Letztlich wurde mein Verhältnis zu Bloglesungen ja etwas getrübt. Doch all dies, was die Lesung im Rahmen des Wordcamps so schwer erträglich werden ließ, blieb an diesem Abend aus: Die Autoren waren mit dem Herzen bei der Sache, das Publikum aufmerksam und sehr konzentriert, die Texte waren mir weitestgehend bekannt, aber nicht totgelesen. Wunderbar. Viel besser als an dem Abend kann eine Bloglesung eigentlich nicht werden. Percanta hat einen interessanten Blick für die Perspektive des Zuhörers. Isa, Cem, Merlix und Lu beschreiben ihren Blick von der Bühne und ich habe ein paar Fotos gemacht.

Der Mutter hat es auch gut gefallen. Schön, sie im Gespräch mit den anderen zu sehen. Sie hat bei sowas ja keine Berührungsängste, geht auf die Leute zu und spricht sie an. Ich hätte wahrscheinlich nie festgestellt, dass der M. ein Ex-Freund einer Freundin meiner Schwester ist. Sie hat es schnell herausgefunden. OK, die Welt ist klein, und Düsseldorf ist ein Dorf, aber trotzdem.

Schön zu sehen, dass sie — obwohl längst in einem Alter, in dem viele Leute sagen: „Das mit dem Internet muss ich in diesem Leben nicht mehr lernen“ — sich auf diese Sachen einlässt und hinter dem Blogdings nicht nur kleine Geschichtchen aus dem Leben ihres Sohnes sieht, sondern auch die Dimension erkennt, dass dies eine Art Literatur ist, für die es noch vor fünfzehn Jahren keine Möglichkeit der Verbreitung gegeben hätte. Ich kann nur hoffen, dass sie bei der an diesem Abend gehörten Qualität nicht abwandert, ich würde einer der treuesten Leserinnen verlieren.

Media Markts Uwe

So wie ich das nach acht Jahren in Hamburg verstanden habe, scheint Uwe Seeler für die HSV Fans ja so eine Art Säulenheiliger zu sein. Er ist die autoritätsgebende Instanz in allen Dingen HSV. Was er sagt, ist in dieser Stadt Gesetz. Der nicht eben schönste Körperteil eines Menschen, Uwe Seelers Fuß, wurde übergroß neben dem Stadion im Volkspark aufgebaut. Wenn’s Euch gefällt, bitte, ich bin da ein durchaus liberaler Mensch.

Aber mal ganz ehrlich, HSV Fans, diese Werbekampagne, in der „Euch Uwe“ in einem Trainingsanzug für einen Elektrogerätehändler posiert und der Name Eures Vereins mit „Hamburger Schnäppchen Verein“ umgesetzt wird, das ist doch, Säulenheiliger hin oder her, ein wenig sehr ehrenrührig oder? Sich und den Namen des Vereins, in dem man verehrt wird, für eine solch bräsige Werbekampagne herzugeben. Trüge ich die Raute im Herzen, fragte ich mich schon, ob der Typ noch alle Tassen im Schrank, respektive einen Funken Anstand im Leibe hat.

Wie seht Ihr das?

Die Fauna am Millerntor

Das im Hamburger Stadtteil St. Pauli lebende Stani ist ein emotionales und freiheitliebendes Wesen, das in Käfighaltung zwischen Amok und Depression schwankt.

Die Nazis kommen nach Barmbek

Einer der Wochenendausflugsfaschos am Samstag im RE1 raunte dem anderen zu „Hamburg am 1. Mai wird hart“. Danach gab es eine kurze Diskussion, dass man ja vor Kundgebungen und Demos am Wochenende freitags „am besten sowieso nicht arbeiten geht. Krankenschein und so.“ Aha. Das hätte es früher ja nicht gegeben. Aber ein wenig Wellness hilft ja, den Kampf gegen die freiheitliche Gesellschaftsordnung besser zu überstehen.

Was die Arschgeigen mit „Hamburg“ meinten, wurde mir schlagartig klar, als ich heute die Fuhle hinaufging und des öfteren diesen Aufkleber auf Fenstern, Türen und der Bushaltestelle sah:

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Na klasse. Die RE1-Faschisten direkt bei mir vor der Haustür. Finden die Maikrawalle dieses Jahr folglich nicht in der Schanze, sondern hier im Viertel statt? In Bambek? In Brambek?

Wenn dabei etwas in Schutt und Asche gelegt wird, dann doch bitte der Busbahnhof. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass das nie etwas wird mit der Renovierung.

Im RE1 mit den Nazis von nebenan

Wenn die Bahnstrecke zwischen Dortmund und Köln eine der Verkehrsarterien Nordrhein-Westfalens ist, dann ist der RE1 von Hamm nach Aachen so etwas wie das rote Blutkörperchen des Landes. Dieser Zug ist immer voll. Die Bahn könnte ihn auch alle zehn Minuten statt nur einmal pro Stunde fahren lassen, er wäre immer noch voll. Besonders voll ist er am Samstag. Der RE1 ist sozusagen das offizielle Fußballfan-Transportmittel zwischen den Bundesligaspielorten an Rhein und Ruhr (plus 2. Bundesliga und Regionalliga Nord).

Auf Fußball tippten die schöne Ubierin und ich am Samstag morgen, als wir nach Düsseldorf fahren wollten und am Dortmunder Hauptbahnhof recht viele Polizisten in teils schwerer Montur sahen. Die waren allerdings nicht wegen des Fußballs da, sondern wegen einer Horde Neonazis, in die wir auf dem Bahnsteig prompt reingelaufen sind. Man war auf dem Weg nach Stolberg zu einer Demo. Hätte auch der schwarze Block einer linken Demonstration sein können, der dort auf den Regionalexpress wartete: Schwarze Klamotten, Sonnenbrillen, Mützen, das übliche geheimbündlerische Gehabe — nur halt „Fa“, nicht „Antifa“.

Der Zug rollte ein, alles zwängte sich in die viel zu wenigen Doppelstockwagen. Die schöne Ubierin und ich machten es uns auf der Treppe zur ersten Klasse mehr oder weniger bequem, um uns herum das braune Gesocks. Drei Polizisten in mittelschwerer Montur stiegen auch noch ein, um ein paar grüne Farbsprenkler in den schwarzen Block zu bringen.

War eine friedliche Fahrt: Kein Rumgegröhle, keine blöden Sprüche. Stattdessen normales Zugfahren im überfüllten Wagen. Meine Güte, waren die banal: Die Nazijungs holten Karten raus und spielten Skat, das Nazimädchen neben uns auf der Treppe löste rechtsradikale Kreuzworträtsel und faschistische Sudokus. Dazu gab es selbstgeschmierte nationalsozialistische Schinken- und Käsebrötchen. Hätte sie noch hartgekochte Eier rausgeholt, hätte ich gelacht.

An jedem weiteren Bahnhof gesellte sich noch eine Handvoll weiterer Faschos dazu, erst die aus Essen waren unangenehm asozial. Mit den anderen hätte man auch prima ein Gespräch anfangen können: „Na Leute, hervorragendes Wetter heute, um an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Staates zu rütteln, was?“. Wollte dann aber doch keine Kloppe riskieren.

Nächstes Mal fahren wir wieder Intercity. Da gibt es wenigstens Sitzplätze. Und weniger Nazis.

Frau Gröner war in der Oper

…und hat sich das Rheingold angeschaut. Gäbe es nicht schon von Loriot diese hübsche CD mit der Erklärung des Stücks, wäre sie diejenige, die genau den Ton trifft, um die Handlung zu beschreiben:

Überhaupt war der generelle Tonfall eher spöttisch, was okay ist, denn schließlich stellen sich alle im Rheingold nicht gerade schlau an: Wotan verspielt fast die Göttin der ewigen Jugend an die Türsteher, die blöden Rheintöchter lassen sich das Gold unterm Hintern wegklauen, der Dieb des Goldes ist zu dumm, es zu behalten, und überhaupt wundert man sich nach dem Rheingold, ob die Herrscher und Herrscherinnen über das Universum sich wenigstens die Schuhe selber zubinden können.

Blickfett

In „Brillenputztücher“ schreibt Max Goldt einen Dialog, dessen ersten Zeilen ich hier wiedergebe:

Es sitzen zwei im Park

Mann:  Hätten Sie vielleicht mal ein Brillenputztuch?
Frau:  Ja bitteschön, bedienen Sie sich. Sie lassen die Brille beim Putzen auf der Nase? Ich nehme sie immer ab.
Mann:  Wozu soll das denn bitteschön gut sein?
Frau:  Dann kann man auch die Innenseite der Gläser säubern, wo sich das sogenannte Blickfett ablagert.
Mann:  Das Blickfett. Nun gut. […]

(aus: Max Goldt: „‚Mind Boggling‘ — Evening Post“, Haffmanns 1998.)

Das Blickfett. Nun gut. So wie der Mann in dem Dialog habe ich auch reagiert, als ich den Text das erste Mal las. Dann habe ich gelacht, über die feine Beobachtung. Heute bin ich schlauer, heute weiß ich, dass es dieses Blickfett wirklich gibt. Ich weiß das, seit ich im Januar meinen Haushalt um ein weiteres unnötiges aber praktisches Gadget erweitert habe: Ein Ultraschallreiniger für die Brille. Kinners, ich sag Euch: Vergesst Brillenputztücher. Nehmt Ultraschall. Selten eine so saubere Brille gehabt, außer ich war beim Optiker und habe die Brille dort reinigen lassen.

Aber zurück zum Blickfett: Wechselt man nicht sofort nach dem Reinigen das Wasser in dem Gerät, wartet man vielleicht sogar zwei oder drei Tage damit, kann man es sehen, wie es sich langsam am Boden der Edelstahlwanne formiert, wie das Blickfett sozusagen ausflockt, falls Lipide das können und es nicht nur Proteinen vorbehalten ist. Am Anfang dachte ich noch an Rückstände des Spülmittels im Wasser, doch empirische Tests haben bewiesen: Es ist das Fett von der Innenseite der Brillengläser. Das Foto beweist es:

blickfett

Und morgen dringend das Wasser wechseln.

Videos auf Flickr

Keine Ahnung, warum ich gegen Videos auf Flickr sein sollte. Was mich hingegen nervt, sind mehrere Mails am Tag mit der Aufforderung, irgendeiner „Say No to Videos on Flickr“ Group beizutreten. Kann mir jemand erklären, warum das mit den Videos so total böse sein soll, damit ich eventuell auch mal prinzipiell dagegen sein kann?

5:0, 5:0, 5:0

Versöhnt. Ach, das war ein Fußballnachmittag für’s Herz heute. B. und ich haben mal etwas Verrücktes gemacht: Die Gegengeradenkarten verliehen und stattdessen feist und überdacht auf der neuen Nordtribüne gesessen. Bei dem Scheißwetter war es das wirklich wert; keinen Bock auf eine weitere Erkältung, die von Ostern reicht mir noch ein wenig.

Ein schöner Ausgleich für die 0:2 Pleite im Hinspiel im Breisgau. Ich merke gerade, dass ich damals gar nicht geschrieben habe, dass ich für das Spiel nach Freiburg gereist bin. Die Freundin L. und ich saßen damals auf der Haupttribüne und mussten zusehen, wie der FC St. Pauli Stück für Stück auseinandergenommen wurde. Für die L. war es ihr erster Besuch in einem Stadion. Vor diesem Hintergrund war es sehr schön, anzusehen, wie sich die Hamburger die drei Punkte wiedergeholt haben und außerdem noch etwas für das Torverhältnis getan haben. Ein 5:0 habe ich am Millerntor noch nicht gesehen.

Wir saßen heute ganz in der Nähe des Gästeblocks. Direkt unter mir ein Freiburger Fan. Ich wies ihn darauf hin, dass ich genau weiß, wie es ist, mit dem Schal der Auswärtsmannschaft mitten im Heimblock zu sitzen. Vor dem Spiel tönte er noch, dass wir ja in der nächsten Saison mit ihrer zweiten Mannschaft vorlieb nehmen müssten. Später ging er dann häufiger mal Bier holen. Am Ende stand er etwas trotzig mit seinem Schal hochgereckt, als ob man ihm im Sandkasten das Förmchen geklaut hätte. Er machte sich wohl auf einen von Hohn und Spott erfüllten Abend mit seiner Freundin bereit, die sehr glühend die braun-weißen angefeuert hatte.

Großes Lob an die Freiburger Fans. Die kleinere Rauchbombe war schnell vergessen, als sie in der letzten Viertelstunde mehrfach „la ola“ starteten — eine ging sogar bis zur Südtribüne hinüber. Auch dass sie nach dem Spiel die Hamburger Mannschaft zum Abfeiern vor ihren Block forderten und sich mit lauten „St. Pauli, St. Pauli“ Rufen verabschiedeten (und die Hamburger sich mit „Freiburg, Freiburg“ revanchierten) — das sind die Gesten, die die freundlichen Auswärtsfans von den doofen Auswärtsfans unterscheiden.

Acht Punkte bis zum Abstiegsplatz. Das ist ein schönes Polster. Bitte nicht versauen. Bitte nicht so spielen, dass sich erst an den letzten beiden Spieltagen alles entscheidet — da bin ich im Urlaub und möchte gerne schon vorher den Klassenerhalt feiern.