Monthly Archive for Mai, 2008

Nachtigall, ich hör Dich beim Trapsen ab

Aus den Nachrichten des Deutschlandfunks:

Telekom-Bespitzelungsaffäre: Schäuble schaltet sich ein und bestellt Manager nach Berlin

Bundesinnenminister Schäuble will wegen der Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom mit der Führung des Konzerns zusammenkommen. Dem Vernehmen nach soll es bei dem Treffen am nächsten Montag darum gehen, wie der Datenschutz in Unternehmen wirksam realisiert werden kann.

Na, das gibt ja einen heiteren Erfahrungsaustausch. Oder sollte da etwa ein Auftrag des BMI an die Beratungssparte T-Systems bei rausspringen? Zu dumm nur, dass solche Vertriebstermine durch die Presse gehen. Da gibt es doch irgendwo ein Leck. Herr Ricke, übernehmen Sie!

Der große Bruder oder der Dönermann

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An der Rückwand war ein grellfarbiges Plakat, das für einen Innenraum eigentlich zu groß war, mit Reißnägeln an der Wand befestigt. Es stellte nur ein riesiges Gesicht von mehr als einem Meter Breite dar: das Gesicht eines Mannes von etwa fünfundvierzig Jahren, mit dicken Schnauzbart und ansprechenden, wenn auch derben Zügen.

Auf jedem Treppenabsatz starrte ihn gegenüber dem Liftschacht das Plakat mit dem riesigen Gesicht an. Es gehörte zu den Bildnissen, die so gemalt sind, daß einen die Augen überallhin verfolgen. „Der große Bruder sieht Dich an!“ lautete die Schlagzeile darunter.

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(George Orwell, Kurt Wagenseil (Übers.): „1984“)

Wie ich einmal einen Andalusier verwirrte

Ist schon ein wenig her, dass ich hier die Site If the Earth Were a Sandwich empfohlen habe. Damals wusste ich noch nicht, dass ich ein Jahr später nach Andalusien fahren würde. Gute Gelegenheit, sich den Ort mal anzuschauen, von dem aus ich nur direkt durchgraben muss, um auf dem Grundstück des Freundes B. zu stehen.

Den Ort habe ich bereits vorher über Luftbilder ausgekundschaftet und die Koordinaten im GPS gespeichert. Mit freundlicher Unterstützung durch amerikanische Militärsatelliten wurde ich sehr zuverlässig an die kleine Abzweigung der Landstraße A431 in der Nähe von Córdoba geleitet.

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Nur noch knapp hundert Meter den Feldweg entlang, ein wenig nach Westen und dann bin ich da. Wäre da nicht der Zaun um den kleinen Olivengarten herum. Doch während ich noch überlege, wie ich da jetzt reinkomme, kläfft auch schon ein Hund und ein etwas halbseiden aussehener Andalusier kommt auf mich zu, die Töle im Schlepptau. Wie gut, dass ich mir diese Situation bereits ein paar Tage vorher zurecht gelegt habe und nun in perfektem Spanisch erklären kann, was ich möchte. Soweit zu meiner Einschätzung. Der Dialog hier ist hochsprachlich wiedergegeben. Mein einfaches Spanisch kombiniert mit einer zugegebenermaßen skurrilen Idee einerseits und der beinharte Dialekt andererseits haben das Verständnis nicht gerade vereinfacht.

Ich: Hallo, ich bin ein wenig verrückt, aber ich möchte gerne Ihren Garten betreten, um dort ein Foto zu machen. Wissen Sie, genau hier auf der anderen Seite der Welt liegt Neuseeland, und an genau diesem Ort hat ein Freund von mir sein Haus.
Der Andalusier: ???
Ich: Also, ich würde gerne in Ihrem Garten die Stelle suchen, an der — auf der anderen Seite der Welt — …
Der Andalusier: Willst Du den Garten kaufen?
Ich: Nein, nein, nur ein Foto machen.
Der Andalusier: Und was machst Du mit dem Foto?
Ich: Das schicke ich meinem Freund.
Der Andalusier: Warum?
Ich: Um ihm zu sagen, dass ich hier war.
Der Andalusier: Dann mach Dein Foto von dem Garten doch hier.
Ich: (zeige GPS) Hm, wissen Sie, der genaue Ort liegt etwa 50 Meter links von hier, mitten in dem Garten. Mir ist das schon sehr wichtig.
Der Andalusier: (verwirrt) Ja, dann geh, das Tor ist offen.
Ich: OK, muchas gracias!

Die letzten fünfzig Meter in dem Garten waren schnell zurückgelegt, der Andalusier wartete draußen am Tor.

So, lieber B., nun freue ich mich, Dir zeigen zu können, wie der Ort aussieht, der auf der Erde am entferntesten von Deinem Haus liegt. Es ist fürwahr nicht übertrieben, zu behaupten, dass es auf der anderen Seite der Erde wirklich viel schöner aussieht als in diesem Olivengarten:

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Der Abschied war schnell und nicht so herzlich. Vermutlich war der Andalusier froh, dass der Verrückte mit dem starken Akzent und dem kleinen gelben Gerät wieder weg war. So trollte er sich mit seinem Hund wieder in Richtung seines Hauses und ich fuhr hoch erfreut weiter in Richtung Córdoba.

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Katholikentag in Osnabrück

Gestern aus purer Nostalgie das Programm des derzeit in Osnabrück statt findenden Katholikentags durchgeschaut. Nostalgie, nicht, weil ich selbst auf eine Vergangenheit mit Katholikentagen zurückblicken könnte, sondern weil ich des Studiums wegen gut acht Jahre in dieser Mittelstadt an der Grenze zwischen Niedersachen und Westfalen verbracht habe.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung muss ich sagen, dass das Motto der Veranstaltung „Du führst uns hinaus ins Weite“ vermutlich nicht nur spirituell gemeint ist, sondern sich auch ganz konkret auf den Veranstaltungsort bezogen ist. Denn Weite, die gibt es in dieser Region reichlich…

Das Ende einer Ära

Vorgestern beim radikalen Aufräumen meines neben-dem-Schreibtisch Sideboards die letzten verbliebenen Disketten aus meinem Haushalt entfernt. Bin sicher, dass ich keine DOS 5.0 Boot-Diskette mehr brauche. Da seit knapp zwei Jahren kein Computer mehr mit dem dafür notwendigen Lesegerät mehr in meinem Haushalt existiert, ist es wohl an der Zeit, diese Ära zu beenden, die am 25.12.1985 Einzug gehalten hat. Danke, Floppys, war nett mit Euch, aber ihr könnt jetzt gehen.

Urlaub. Vacaciones. Ab sofort.

Kinners, nun müsst Ihr mal wieder ein paar Tage ohne mich auskommen. Wenn Ihr das lest, bin ich auf dem Weg zum Flughafen, um nach Malaga zu fliegen. Dann erkunden wir zu zweit Andalusien. Bin dann irgendwann auch wieder da. Vielleicht melde ich mich von unterwegs.

Mit dem Schwager im Prototypenmuseum

Auf Leute, die sich für Autos interessieren, üben Prototypen einen besonderen Reiz aus. Mich begeistern Autos jenseits des Aspekts der Fortbewegung nicht so sehr, doch der Schwager, der samt Schwester über das Wochenende zu Besuch war, ist schon allein aus professionellen Gründen an Kraftfahrzeugen interessiert. Und in fachkundiger Begleitung sehe ich mir auch gerne Museen an, in die ich allein nicht unbedngt reingehen würde. Außerdem bin ich ja allgemein interessiert an Technik — ganz abgesehen davon, dass ich es immer spannend finde, wie ein Museum aufgebaut ist und wie der Besucher durchgeleitet wird.

Die Sammlung ist eindrucksvoll: sehr schön aufgebaute Fahrzeuge, garniert mit Accessoires zu Rennen und der Technik. Es sind hauptsächlich Rennwagen, bzw. sportliche Autos. Viel Porsche gibt es sehen. Ich hatte auf ein paar Science Fiction-artige Modelle gehofft, so richtig abgefahrene Studien, bei denen immer schon absehbar war, dass sie nur im Kopf des Ingenieurs einen Sinn ergeben.

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Doch leider ist die Sammlung genau dies: eine Sammlung. Ein Sammler stellt seine Schätze aus und hofft, dass die Besucher so kenntnisreich und vorgebildet sind, dass sie sich von Metall, Lack und Technik beeindruckt hingeben. Was dem Museum fehlt, ist die Erklärung zu den Exponaten. Die an den Autos preisgegebenen Fakten gehen selten über Quartettspielwissen hinaus: Wie groß, wie schnell, wie alt. Aber kaum etwas über die Leute dahinter, über den zeitlichen Kontext oder was genau diesen Prototyp auszeichnet. Zwar existieren ein paar PCs, an denen man Informationen abrufen kann, doch die Information ist nicht unmittelbar mit den Exponaten verknüpft.

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Ein wenig mehr Historie bekomme ich im Untergeschoss mit, wo ein älterer Herr mich in ein freundliches Gespräch verwickelt und mir bei einem besonders ramponierten Rennwagen erzählt, dass sein Vater diesen gebaut habe, er ihn selbst als Siebzehnjähriger durch „die Ostzone“ gefahren habe und dass der Wagen dann vergessen Jahrzehnte im Garten gestanden habe und der Witterung ausgesetzt gewesen sei.

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Das war spannend. Durch eine solche Erzählung wird ein Alugerippe zu einem Objekt mit Geschichte, unter der ich mir etwas vorstellen kann, viel wichtiger, ob das Gerät nun hundert oder hunderzehn PS hat.

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Diesen Sammlungscharakter teilt das Hamburger Prototypenmuseum mit anderen technischen Museen. Bei meinem Besuch im Technikmuseum in Speyer vor zehn Jahren hatte ich das gleiche Gefühl: Exponate ohne den Kontext sind nur für denjenigen interessant, der sich mit der Materie auskennt. Erst wenn die Aussteller das verstanden haben, werden Sammlungen zu richtigen Museen.

(Noch ein paar Bilder mehr gibt’s bei Flickr.)

Linker Handschuh gefunden, abzuholen in Barmbek

Einer der Autonomen, die am Donnerstag durch meine Nachbarschaft gezogen sind, hat seinen schwarzen Wollhandschuh verloren. Der umsichtige Finder hat ihn auf ein Mäuerchen gelegt, wie man das mit Fundsachen so macht, als höflicher Mensch.

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Also, Du Autonomer: Der verlorene Handschuh liegt an der Ecke Wasmannstraße/Aldenrathsweg. Kannst Du dort abholen. Ist ja ärgerlich, so einen Handschuh zu verlieren. Gibt auch Ärger von Mami, wenn Du nach Hause kommst und einen Vorschuss aufs Taschengeld braucht, um neue Handschuhe zu kaufen. Wo Mami doch von vornherein dagegen war, dass Du Handschuhe mitnimmst auf dem Ausflug mit Deinen Freunden nach Hamburg, bei der guten Wettervorhersage. Überhaupt, muss das denn schon wieder sein, zu so einer Demonstration zu fahren? Vor drei Wochen nach Stolberg, jetzt nach Hamburg. Ist ja schon richtig, friedlich gegen die Rechten zu demonstrieren, aber das ist ja auch gefährlich, da sollen ja immer diese Leute rumlaufen, die mit Dingen um sich werfen. Und die viele Polizei. Und jetzt hast Du auch noch den schönen Handschuh verloren, Du Dummerchen.

Am Tag danach

Wir melden uns aus dem belagerten Sektor. Oder so ähnlich. Zumindest fühlte sich das gestern so an. Draußen war ich nicht, zumindest nicht bis ungefähr 19 Uhr, als ich einen kleinen Rundgang durch das Kriegsgebiet wagte, um einen Blick auf die Schäden zu werfen. Daher gibt es hier keinen detaillierten Auenzeugenbericht.

Bereits am Vormittag konstantes Hubschraubergebrumme über dem Viertel. Ab Mittag dann vereinzelt laute Knallgeräusche aus der Richtung Alte Wöhr. Ob das Schusswaffen waren? Oder nur Feuerwerkskörper? Dann Aufregung auf meiner kleinen, beschaulichen Seitenstraße (die so klein ist, dass nur ein Taxifahrer in den letzten zwei Jahren sie auf Anhieb kannte): Eine Horde Autonomer zieht am Haus vorbei. Nach dem Erlebnis im RE1 von vor drei Wochen weiß ich ja, dass ich genauer hingucken muss, um Rechte und Linke Autonome auseinanderzuhalten. Obwohl: Macht es wirklich einen Unterschied? Schon: Die einen wollen den Staat zerstören und Ausländer umbringen, die anderen wollen nur den Staat zerstören. Es waren aber die ausschließlich staatszerstörenden Vermummten, die sich teilweise an dem Bauschutt am Haus gegenüber mit neuen Steinen versorgten. An der Ecke hielten sie kurz Kriegsrat und zogen in Richtung Fuhlsbüttler Straße wieder ab.

Am späten Nachmittag eine riesige, schwarze Rauchwolke im Westen. Das müssen die sechs Autos sein, die angezündet wurden. Den Fotos bei SPON nach, sind das die Parkplätze an der Saarlandstraße.

Später wurde das Chaos dann ins Schanzenviertel verlegt. Die Leute dort sind das ja eher gewohnt. Mal sehen, wie es heute abend beim Fußball wird. Da wird die Polizei nichts anbrennen lassen, zumal ja mit Erzgebirge Aue ostdeutscher ein Verein zu Gast ist. Das war in der Vergangenheit eigentlich immer Garantie für eine besonders heiße Stimmung im Stadion.

(Beitrag in Kategorie „Barmbek und die Welt“. Bei dem Medienecho trifft das endlich mal zu.)