Wenn jemand im Umgang mit der Tastatur nicht sehr firm ist und jede Taste einzeln suchen muss, spricht man scherzhaft vom „Adler-Suchsystem“, in Anlehnung an den Raubvogel, der über der Tastatur kreist und zack hinabstößt, um die Beute zu erlegen Taste zu drücken. Aber wieso erkläre ich das eigentlich? Außer mir weiß ja sowieso jeder, wie diese Metapher zu verstehen ist. Nur ich nicht. Zumindest habe ich erst vor einigen Monaten kapiert, was gemeint ist. Und das kommt so:
Ende der Siebziger Jahre begann mein Vater damit, alte Schreibmaschinen zu sammeln. Was am Anfang noch eine geringe Anzahl von mehr oder weniger hübsch restaurierten Büromaschinen war, wurde binnen weniger Jahre zu einer sehr ansehnlichen und vor allem großen Sammlung.
Ist schon toll, was man als Kind alles als gegeben hinnimmt, ohne sich Gedanken drüber zu machen. Natürlich war es für mich nichts Außergewöhnliches, dass sich außer im Keller auch in immer mehr Wohnräumen des Hauses jede Menge alter Schreib-, Rechen- und sonstiger Büromaschinen ansammelten. Es waren wirklich einige außergewöhnlich gut erhaltene Geräte dabei, von den verrückten Konstruktionen aus der Frühzeit dieser Technik ganz zu schweigen.
Eine der ersten Maschinen, die mein Vater nach Hause schleppte, war eine Adler 7. Das war eine Schreibmaschine, die auch für das ungeübte Auge von heute einwandfrei als solche zu erkennen ist, mit Tasten, mit Walze und sichtbarem Anschlag (das war nicht selbstverständlich für Maschinen aus den Jahren 1880-1900).
Die Maschine ist so präsent in meiner Erinnerung, dass ich bei der Redensart „Adler-Suchsystem“ immer automatisch an diese Maschine denken musste. Umso größer war mein Unverständnis, warum das Suchsystem bei dieser Maschine so ungewöhnlich sein sollte. Sah doch ganz normal aus, das Ding. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man bei dieser Maschine ein spezielles Suchsystem brauchte; anders als beispielsweise bei der Mignon oder Odell.
Dass andere Leute als solche Büromaschinen-Geeks wie mein Vater (und — notgedrungen — seine Familie) möglicherweise gar nicht wissen, dass es eine Schreibmaschine mit diesem Namen gab, ist mir nie aufgegangen. Als Kind nimmt man halt eine ganze Menge skurriler Dinge als gegeben hin, wenn sie zu Hause passieren.
Wunderbar. Mir hat man übrigens angeraten vor Beginn der Ausbildung einen Schreibmaschinen-Kurs zu belegen, was ich auch brav tat. Dafür kann ich jetzt mit zehn Fingern und blind tippen. Eine Adler ist mir während der Ausbildung nicht über den Weg gelaufen, aber ich glaube, eine Gabriele. Danach kam der PC.
Schön die eigene Erinnerung von Zeit zu Zeit so präsentiert zu bekommen.
Ich selber habe, bis eben gerade, nie auch nur ansatzweise darüber nachgedacht, dass wir tatsächlich UNGLAUBLICH viele „alte Schreibmaschinen“ hatten. Seht ihr, ich schreibe WIR. Oder anders gesagt:“Wie? Ihr hattet keine Schreibmaschinensammlung zuhause?“
Genau wie ich schlappe 20 Jahre alt werden musste, um die lapidare Antwort meines Vaters zu hinterfragen, die er mir gab, als ich wissen wollte warum er eine Glatze habe. „Deine großen Geschwister haben mir die Haare vom Kopf gerfressen.“ Klar hatten sie dass. Was denn sonst?
Danke für diesen schönen Blog.
bosch: Mein Vater riet mir auch, dass ich richtig Schreibmaschineschreiben lernen sollte. Ich habe es auch mehrfach versucht. Doch im zarten Teenageralter hatte ich nicht die Geduld, mich durch seitenlante Tippübungen im Stil von „Jaffa Saal Saal Jaffa“ zu quälen. Hat zum Glück auch nicht geschadet. Der Witz bei den Schreibmaschinen war ja, dass man richtig viel Kraft brauchte, um die Tasten zu drücken. Da war es praktisch, die richtige Technik zu haben. Bei dem eher geringen Tastenhub einer Tastatur heute spielt das nicht mehr so eine große Rolle.
Kleiner Bruder: Hmmmm, lecker Haare von Papi. Schade, dass Deine Schwester und ich keine mehr für Dich übrig gelassen haben. ;-)
Die Adler war ab den 1910er Jahren bis in die 1940er die verbreitetste deutsche Kleinschreibmaschine. Aber gegenüber den normalen Büro-Maschinen (Continental, Underwood usw.) hatte sie zur Platzersparnis nur 3 Tastenreihen, mit doppelter Umschaltung. Also auf einer Taste waren Groß- und Kleinbuchstabe und noch eine Ziffer oder ein Zeichen. Deshalb fand man nicht sofort, was man suchte, und der Finger kreiste über der Tastatur, um dann, nach Auffinden der Beute, wie ein Adler herabzustoßen, deshalb: „System Adler“ als damals durchaus populäre Redewendung.
Manchmal denke ich: das einzige, was ich wirklich echt und sachlich korrekt gelernt habe und aus dem FF kann, ist Schreibmaschine-Schreiben. Ich habe schon mit 14 Jahren 10-Finger blind gelernt, asdfjklöasdfjklö. Und mein Kasperle-Theater habe ich verkauft um eine Triumpf Gabriele kaufen zu können, die hab ich immer noch.