Ich habe Jabba the Hutt gefüttert (Zivildienst I)

Im allgemeinen bin ich als Zivildienstleistender mit meinen Klientinnen gut zurecht gekommen. Viel Berührungspunkte hat man ja nicht, wenn man nur einmal die Woche zum Einkaufen vorbei kommt, aber meistens habe ich es genossen, mich noch ein wenig zu den alten Damen (und dem vereinzelten Herrn) zu setzen und noch einen Plausch zu halten. Einige hatten ein paar interessante Geschichten zu erzählen, die auch beim vierten Hören noch interessant waren.

Es gab aber auch unangenehme Exemplare, wie die Frau W., die allein in ihrer kleinen Wohnung im dritten Stock an einer vielbefahrenen Straße mitten in Düsseldorf-Flingern wohnte. Frau W. war so unmäßig fett, dass sie aussah wie Jabba, nur dass der Palast kleiner war, es keine Tänzerinnen gab und vor allem — zum Glück — kein Monster im Keller, das auf abtrünnige Bedienstete abgerichtet war. Aber ansonsten war die Ähnlichkeit furchterregend.

Frau W. musste zum Erhalt ihrer Leibesfülle Unmengen von Lebensmitteln in sich reinstopfen. Die durfte ich Dienstags nachmittags zu ihr bringen: Zuerst in den dritten Stock hoch, um einen so großen Einkaufszettel abzuholen, dass für den allein drei Bäume gestorben waren. Dann mit meinem Dienstwagen zu PLUS. Das Geld für den Einkauf fuhr mir schwer bewacht im Geldtransporter hinterher. Am Supermarkt angekommen, begrüßten mich der Filalleiter und der Regionalleiter per Handschlag. Ich war bekannt in dem Laden. Ich hatte eine PLUS Frequent-Buyer Card aus hochreinem Platin mit Diamantbesatz, auf dem Jahrestreffen der Filialleiter gab es 17 Minuten Applaus bei meinem Gastauftritt.

Ich gebe zu, dass der letzte Absatz die eine oder andere Überteibung birgt, aber der erste Satz mit der Leibesfülle stimmt. Ein randvoller Einkaufswagen für eine allein lebende Person ist eine ganze Menge. Und immer die Spezialwünsche: „Ach, Alexander, bringen Sie doch diesmal eine Beinscheibe mit“. Jede Woche habe ich um die drei Kartons Lebensmittel hochgeschleppt, immer in der Angst, dass ich einen fetten Strafzettel kriege, da vor der Tür absolutes Halteverbot war. Die Einkäufe meiner Mutter für unseren sechsköpfigen Haushalt kamen mir nicht größer vor als meine Einkäufe für Frau W.

„Ach, Alexander, dann noch sechs Piccolo und ein paar von den leckerschmecker-Fläschchen an der Kasse.“ Ihr Alkoholproblem wurde schnell offensichtlich, auch wenn sie versuchte, es mit der „Arzt — Kreislauf — Sekt“-Nummer zu kaschieren. Ich war zwar noch grün hinter den Ohren, aber der übermäßige Alkoholkonsum war sehr eindeutig.

Insgesamt hätten mich die eineeinhalb Stunden einmal pro Woche nicht weiter gestört, wenn Frau W. nicht eine grundsätzlich unangenehme Person gewesen wäre. Die Wohnung stank gegen den Wind nach alter Frau (Zivi-Erkenntnis: Alte Männer riechen muffig, alte Frauen riechen beißend). Die rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Pamphlete an der Pinwand versuchte ich zu ignorieren und auf einen Vertreibungsfolgeschaden zu schieben. Doch leider sah Frau W. in mir auch den idealen Schwiegersohn und schwärmte mir in höchsten Tönen von ihrer Enkelin vor und erkundigte sich immer danach, ob ich noch single sei. Eines Dienstags war sie nicht allein, sondern hatte die Enkelin dabei, die ca. sechzehnjährig ein „I like the Pope, the Pope smokes dope“ T-Shirt trug. Wir schauten uns kurz in die Augen und waren uns schnell klar, dass wir nicht füreinander geschaffen waren.

Vollkommen traumatisierend war der Tag, an dem sie mich unten auf der Straße abfing (sie konnte die Wohnung also doch verlassen! Ha!) und mir verkündete, dass sie mich heute zum Essen einladen wollte. Es war Mai, es war warm, sie erinnerte ausschließlich farblich an eine Persil-Werbung aus den Zwanziger Jahren: Blütenweiß war ihre Kleidung. Bis sie in dem Ausflugslokal im Grafenberger Wald den Fisch mit Tomatensoße bestellte. Ihre Finger waren so verfettet, dass sie nur sehr ungeschickt mit Messer und Gabel umgehen konnte und mehr oder weniger mit den Fingern aß. Ich hoffe, niemand hat gedacht, dass ich sie erstechen wollte, so rotbeschmiert, wie sie nach dem Essen war. Nie wieder war sich seitdem in dem Restaurant, in der Furcht, dass man mich wiedererkennen würde.

Zum Abschied meiner Dienstzeit bot sie mir noch an, ich könne ja mal mit ihr und ihrer Familie in der alten Heimat im Erzgebirge Urlaub machen. Ich lehnte dankend ab. Ebenso, wie ich dankend ablehnte, als sie mich um meine Adresse bat, damit sie mir mal schreiben könnte. Es gibt Beziehungen im Leben, die man einfach so abbrechen muss.

3 Responses to “Ich habe Jabba the Hutt gefüttert (Zivildienst I)”


  • Luft! Luft! *kaputtlach*

  • Super, aus Zivildiensterfahrungen könnte man tatsächlich noch ein ganzes Blog machen. Mir würde da ja auch noch die eine oder andere Geschichte einfallen.

  • Kiki: Geht’s wieder? :-) Oder soll ich schnell noch das Sauerstoffzelt aufbauen. Danke für den hübschen Link!

    bosch: Ja, da kam einiges hoch. Mal sehen, was ich davon in der nächsten Zeit noch aufarbeite. So ein Essen-auf-Rädern und Einkaufs-Zivi kommt mit einigen skurrilen Leuten in Berührung.

Comments are currently closed.