Es war schon früh am Morgen, als die Freunde und ich das Cult verließen. Wider Erwarten war auch ein wenig Wehmut dabei, schließt dieser Club doch am nächsten Wochenende seine Pforten.
Ich gehe nicht häufig auf der Reeperbahn aus, aber seit ich in Hamburg wohne, ist es für den Freund A. und mich ein schönes Ritual geworden, alle paar Monate in den Keller der Großen Freiheit 2 hinabzusteigen und dort, entgegen sämtlicher sonstiger Hörgewohnheiten, der puren 80er Lust zu frönen.
Nach allen objektiven Parametern dürfte mich nichts reinkriegen in den Laden: Die Musik ist mit „abgenudelt“ noch liebevoll umschrieben, die Enge dort ist nichts für Leute mit einem Hang zur Klaustrophobie und das Publikum… Naja, darüber hüllen wir den Mantel des Schweigens. Nur soviel: Zu einem überschaubaren Kern an Stammgästen gesellen sich reichlich Leute aus dem Umland. Gebaggert wird viel (auch nicht so mein Ding), zum Teil habe ich das Gefühl, das ausgesonderte Testosteron an den kondenswassernassen Säulen herunterlaufen zu sehen.
Ist ja nicht so, dass wir nicht auch mal andere Clubs ausprobiert hätten, oder als ob es auf/an der Reeperbahn nicht noch andere Läden gebe, trotzdem hat es uns Mal für Mal wieder in den höchst barock dekorierten Keller herabgezogen, zur nächsten Depeche Mode-Party.
Und nun ist es aus damit. Wir müssen uns endgültig einen anderen Laden zum Tanzen suchen. Auf keinen Fall verstehen wir die Schließung als einen subtilen Hinweis des Weltgeists, dass unsere Zeit nun abgelaufen ist und wir endgültig abtreten müssen. Könnte dem Weltgeist so passen, aber so leicht lassen wir uns nicht unterkriegen.
Hmm, dem Weltgeist trotzen. Richtig so, zeigs ihm, diesem wendehalsigen Opportunisten!
Was ist es denn eigentlich, dass Dich und andere zu diesen unsäglichen 80er Jahre Partys treibt (oder sie zumindest) erträglich werden lässt? Die zu gut bekannte Musik, von der keine Überaschungen zu erwarten sind, demzufolge also auch die unangenehme Situation erspart bleibt, nichts, also rein gar nichts, mit einem Song anfangen zu können? Kein freemodernjazzhouseminimalgaragefunksoul, dieser Zaunpfahl des Weltgeistes, der einem zu winken versucht, das Tanzveranstaltungen und überhaupt Musik anderen Menschen vorbehalten seien? Oder ist es die Verbundenheit mit den anderen Gästen: „Jau, die Musik ist uns allen unangenehm. Jetzt haben wir etwas gemeinsam und können aus uns herausgehen.“!?
Ich für meinen Teil werde mich noch weiter an HipHop Veranstaltungen amüsieren. Immer mit dem kleinen Klopfen im Hinterkopf, dass es wohlmöglich irgendwann sinvoll erscheint Tango oder Salsa oder sonst eine etablierte (Tanz)Musik in meinen Horizont einzubauen, damit ich auch in 15 Jahren (um Mißverständnissen vorzubeugen: also weit nach Deinem jetzigen Alter!!) noch immer meiner Tanzfreude und Bewegungslust nachgehen kann, ohne mich als Fossiles Relikt, an die Partys einer längst vergangenen Zeit zu klammern. Kann ja nicht sein, dass ein dahergalaufener Weltgeist bestimmen soll, wann wer tanzen dürfte…
Brüderchen: Statt mich hier zu rechtfertigen, stelle ich lieber die Frage, die mich auch im Cult immer wieder zum Rätseln gebracht hat: Was machen die ganzen jungen Leute in dem Laden? Wenn A. und ich dahin gehen, sammeln wir die Scherben unserer Jugend auf. Aber die ganzen Leute Anfang Zwanzig? Die können sich ja nichtmal damit rausreden, dass sie mit dieser Musik groß geworden sind, was soviel heißt wie, dass sie sich diesen Kopfstimmen-mit-Synthie-Arien irgendwann mal freiwillig zugewendet haben. Komische Vorstellung. Außer natürlich, sie haben alle große Geschwister, bei denen sie sich den Musikgeschmack abgeguckt haben. Insofern kannst Du ja irre froh sein, dass ich diese Musik nie aktiv zu Hause gehört habe. Stell Dir mal vor, was… aber nein, lassen wir das, das wäre wirklich zu gruselig. :-)
Genau!
Rechtfertigungen wären auch fehl am Platz!
In der Tat verdanke ich Deiner CD-Sammlung meinen Musikgeschmack.
Ich versuchs mir mal kurz anders vorzustellen, warte…da
Ganz, ganz gruselig! :-)